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Deutsche Rundschau.
Mama zu schreiben, der sie für Weihnachtsbrief und Weihnachtsgeschenke bis dahin bloß in einer Karte gedankt, sonst aber seit Wochen keine Nachricht gegeben hatte.
„Kessin, 31. December. Meine liebe Mama! Das wird nun Wohl ein langer Schreibebrief werden, denn ich habe — die Karte rechnet nicht — lange nichts von mir hören lassen. Als ich das letzte Mal schrieb, steckte ich noch in den Weihnachtsvorbereitungen, jetzt liegen die Weihnachtstage schon zurück. Jnnstetten und mein guter Freund Gieshübler hatten Alles ausgeboten, mir den heiligen Abend so angenehm wie möglich zu machen, aber ich fühlte mich doch ein wenig einsam und bangte mich nach Euch. Ueberhaupt, so viel Ursache ich habe, zu danken und froh und glücklich zu sein, ich kann ein Gefühl des Alleinseins nicht ganz los werden, und wenn ich mich früher, vielleicht mehr als nöthig, über Hulda's ewige Gefühlsthrüne moquirt habe, so werde ich jetzt dafür bestraft und habe selber mit dieser Thräne zu kämpfen. Denn Jnnstetten darf es nicht sehen. Ich bin aber sicher, daß das Alles besser Werden wird, wenn unser Hausstand sich mehr belebt, und das wird der Fall sein, meine liebe Mama. Was ich neulich andeutete, das ist nun Gewißheit, und Jnnstetten bezeugt mir täglich seine Freude darüber. Wie glücklich ich selber im Hinblick darauf bin, brauche ich nicht erst zu versichern, schon weil ich dann Leben und Zerstreuung um mich her haben werde oder, wie Geert sich ausdrückt, „ein liebes Spielzeug". Mit diesem Worte wird er Wohl Recht haben, aber er sollte es lieber nicht gebrauchen, weil es mir immer einen kleinen Stich gibt und mich dann erinnert, wie jung ich bin, und daß ich noch halb in die Kinderstube gehöre. Diese Vorstellung verläßt mich nicht (Geert meint, es sei krankhaft), und bringt es zu Wege, daß das, was mein höchstes Glück sein sollte, doch fast noch mehr eine beständige Verlegenheit für mich ist. Ja, meine liebe Mama, als die guten Flemming'schen Damen sich neulich nach allem Möglichen erkundigten, war mir zu Muth, als stünd' ich schlecht vorbereitet in einem Examen, und ich glaube auch, daß ich recht dumm geantwortet habe. Verdrießlich war ich auch. Denn manches, was wie Theilnahme aussieht, ist doch bloß Neugier und wirkt um so zudringlicher, als ich ja noch lange, bis in den Sommer hinein, auf das frohe Ereigniß zu warten habe. Ich denke, die ersten Julitage. Dann mußt Du kommen oder noch besser, sobald ich einigermaßen wieder bei Wege bin, komme ich, nehme hier Urlaub und mache mich auf nach Hohen-Cremmen. Ach, wie ich mich daraus freue und aus die havelländische Lust — hier ist es fast immer rauh und kalt — und dann jeden Tag eine Fahrt ins Luch, Alles roth und gelb, und ich sehe schon, wie das Kind die Hände danach streckt, denn es wird doch Wohl fühlen, daß es eigentlich da zu Hause ist. Aber das schreibe ich nur Dir. Jnnstetten darf nicht davon wissen und auch Dir gegenüber muß ich mich wie entschuldigen, daß ich mit dem Kinde nach Hohen-Cremmen will und mich heute schon anmelde, statt Dich, meine liebe Mama, dringend und herzlich nach Kessin hin einzuladen, das ja doch jeden Sommer fünfzehnhundert Badegäste hat und Schisse mit allen möglichen Flaggen und sogar ein Dünenhotel. Aber daß ich so wenig Gastlichkeit zeige, das macht nicht,