„Und haben doch Gieshübler und den Journalzirkel! Uebrigens hat Heine dem Gedicht einen anderen Namen gegeben, ich glaube „Seegespenst" oder so ähnlich. Aber Vineta hat er gemeint. Und er selber — verzeihen Sie, wenn ich Ihnen so ohne Weiteres den Inhalt hier wiedergebe — der Dichter, während er die Stelle passirt, liegt aus einem Schiffsdeck und sieht hinunter, und sieht da schmale, mittelalterliche Straßen und trippelnde Frauen in Capothüten, und alle haben ein Gesangbuch in Händen und wollen zur Kirche, und alle Glocken läuten. Und als er das hört, da faßt ihn eine Sehnsucht, auch mit in die Kirche zu gehen, wenn auch bloß um der Capothüte willen, und vor Verlangen schreit er aus und will sich Hinunterstürzen. Aber im selben Augenblicke packt ihn der Capitän am Bein und ruft ihm zu: Doctor, sind Sie des Teufels?"
„Das ist ja allerliebst. Das möcht' ich lesen. Ist es lang."
„Nein, es ist eigentlich kurz, etwas länger als ,Du hast Diamanten und Perlen' oder ,Deine Weichen Lilienfinger' ..." und er berührte leise ihre Hand. „Aber lang oder kurz, welche Schilderungskraft, welche Anschaulichkeit! Er ist mein Lieblingsdichter, und ich kann ihn auswendig, so wenig ich mir sonst, trotz gelegentlich eigener Versündigungen, aus der Dichterei mache. Bei Heine liegt es aber anders; Alles ist Leben, und vor Allem versteht er sich aus die Liebe, die doch die Hauptsache bleibt. Er ist übrigens nicht einseitig darin ..."
„Wie meinen Sie das?"
„Ich meine, er ist nicht bloß für die Liebe ..."
„Nun, wenn er diese Einseitigkeit auch hätte, das wäre am Ende noch nicht das Schlimmste. Wofür ist er denn sonst noch? '
„Er ist auch sehr für das Romantische, was freilich gleich nach der Liebe kommt und nach Meinung Einiger sogar damit zusammenfällt. Was ich aber nicht glaube. Denn in seinen späteren Gedichten, die man denn auch die „romantischen" genannt hat, oder eigentlich hat er es selber gethan, in diesen romantischen Dichtungen wird in einem fort hingerichtet, allerdings vielfach aus Liebe. Aber doch meist aus anderen gröberen Motiven, wohin ich in erster Reihe die Politik, die fast immer gröblich ist, rechne. Karl Stuart zum Beispiel trägt in einer dieser Romanzen seinen Kops unterm Arm, und noch fataler ist die Geschichte vom Vitzliputzli . . ."
„Von wem?"
„Vom Vitzliputzli. Vitzliputzli ist nämlich ein mexikanischer Gott, und als die Mexikaner zwanzig oder dreißig Spanier gefangen genommen hatten, mußten diese zwanzig oder dreißig dem Vitzliputzli geopfert werden. Das war da nicht anders, Landessitte, Kultus, und ging auch alles im Handumdrehen, Bauch aus, Herz 'raus ..."
„Nein, Crampas, so dürfen Sie nicht weiter sprechen. Das ist indecent und degoutant zugleich. Und das alles so ziemlich in demselben Augenblicke, wo wir frühstücken wollen."
„Ich für meine Person sehe mich dadurch unbeeinflußt und stelle meinen Appetit überhaupt nur in Abhängigkeit vom Menu."