sö3 - Theodor Fontane in Berlin. -
Kapsel almahm und mit halblauter Stimme die Barmherzigkeit Gottes und den Beistand aller Heiligen anrief. Denn er war noch aus den katholischen Zeiten her. In einem Ansluge von Theiluahme war Trud, die sonst gern ihre herbe Seite herauskehrte, an den Alten herangetreten und hatte ihre Hand auf die Rückenlehne seines Stuhls gelegt, als sie aber den Namen Gretens zum dritten Mal aus seinem Munde hörte, wandte sie sich wieder ab und schritt unruhig und übellaunig im Zimmer auf und nieder. Man sah, daß sie fremd in diesem Hause war, und keine Gemeinschaft mit den Mindes hatte.
Sie war eben wieder arüs Fenster getreten und sah nach dem Marktplätze hin, als sie plötzlich, inmitten einer Gruppe, Gretcn selbst erkannte, die mit einem Stücke Zeug unter dem Kopf, aus einer Bahre herangetragen wurde. War sie todt? Es war oft ihr Wunsch gewesen; aber dieser Anblick erschütterte sie doch. „Gott, Grete!" rief sie und sank in einen Stuhl.
Die Träger hatten mittlerweile die Bahre niedergesetzt und trugen das schöne Kind, dessen Arme schlaff herabhingen, von der Straße her in's Zimmer. ..Hier," sagte Gerdt, als er die Leute verlegen und unschlüssig
dastehen sah, und wies aus eine mit Kissen überdeckte Truhe. Und auf
eben diese legten sie jetzt die scheinbar Leblose nieder. Mit ihnen war auch die alte Regine, die Pflegerin Gretens, jammernd und weinend eingetreteu, und beruhigte sich erst, als nach Besprengen mit frischem Wasser ihr Liebling die Augen wieder aufschlug.
„Wo bin ich?" fragte Grete. „Ach . . . nicht in der Hölle!"
„Gott, mein süß Gretel," zitterte Regine hin und her. „Was sprichst
Dir nur? Du bist ja ein gutes und liebes Kind. Und ein gutes und liebes
Kind, das kommt in den Himmel. Aber das ist auch noch nicht, noch lange nicht. Du kommst auch noch nicht in den Himmel Du bist noch bei uns. Gott sei Dank, Gott sei Dank. So sieh doch, sieh doch, ich bin ja Deine alte Regine."
Die Träger standen noch immer verlegen da, bis der alte Minde sie bat, ihm zu erzählen, was vorgefallen sei. Aber sie wußten nicht viel, da sie wegen des großen Andrangs nur draußen auf der Treppe gewesen waren. Sie hatten nur gehört, daß, gegen den Schluß hin, ein brennender Papierpfropfen in das mit Schwärmern und Feuerrädern angefüllte Vorrathsfaß des Puppenspielers gefallen sei, und daß es im selben Augenblick einen Schlag und gleich darauf ein furchtbar Menschengedränge gegeben habe. In dem Gedräng aber seien zwei Frauen und ein sechsjährig Kind elendiglich ums Leben gekommen.
Grete richtete sich auf, ersichtlich um zu sprechen und den Bericht nach ihrem eigenen Erlebniß zu vervollständigen; als sie aber ihrer Schwieger ansichtig wurde, wandte sie sich ab und sagte: „Nein, ich mag nicht."
Trud wußte wohl, was es war. Sie nahm deshalb ihres Mannes Hand und sagte: „Komm. Es ist besser, Grete bleibt allein. Wir wollen
in die Stadt gehen und sehen wo Hülfe noth thut." Und damit gingen Beide.