Heft 
(1879) 26
Seite
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Theodor Montane in Berlin.

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immer. Weißt Du noch . . Ananias und Aeneas?! Aber das war damals, als Du noch nicht bei Gigas warst . . . Ach, bei Gigas! Und nun soll ich auch hin, denn ich werde ja vierzehn, und Trud' ist bei ihm gewesen, wegen Unterricht und Firmung, und hat es alles besprochen . . . Aber sieh, ihr habt ja noch Kirschen an Eurem Baum. Und wie dunkelste sind! Nur zwei. Die möcht' ich haben."

Es ist zu doch oben; da können blos die Vögel hin. Aber laß sehen Gret', ich will sie Dir doch holen, . . . wenn ..."

Wenn?"

Wenn Du mir einen Kuß geben willst. Eigentlich müßtest Du's. Du bist mir noch einen schuldig."

Schuldig?"

Ja. Von Sylvester."

Ach, das ist lange her. Da war ich noch ein Kind."

Lang oder kurz. Schuld ist Schuld."

Und bedenke, daß ich morgen zu Gigas komme ..."

Das ist erst morgen."

Und eh sie weiter antworten konnte, schwang er sich in den Baum und kletterte rasch und geschickt bis in die Spitze, die sofort heftig zu schwanken begann.

Um Gott, Du fällst", rief sie hinaus; er aber riß den Zweig ab, au dem die zwei Kirschen hingen und stand im Nu wieder aus dem untersten Haupt-Ast, an dem er sich jetzt, mit beiden Knieen einhakend, wagerecht entlang streckte.

-Nun pflücke," ries er und hielt ihr den Zweig entgegen. 'Nein, nein, nicht so. Mit dem Mund ..."

Und sie hob sich aus die Fußspitzen, um nach seinem Willen zu thun. Aber im selben Augenblicke ließ er die Kirschen fallen, bückle sich mit dem Kopf und gab ihr einen herzhaften Kuß.

Das war zu viel. Erschrocken schlug sie nach ihm, und lies aus die Gartenleiter zu, die dicht an der Stelle stand, wo sie das Gespräch zwischen den Himbeerbüschen gehabt hatten. Erst als sie die Sprossen hinauf war, hatte sich ihr Zorn wieder gelegt, und sie wandte sich und nickte dem noch immer verdutzt Dastehenden freundlich zu. Tann bog sie die Zweige von einander und sprang leicht und gefällig in den Garten ihres eigenen Hauses zurück.

2. Trud und Tmrentz.

In den Gärten war alles still, und doch waren sie belauscht worden. Eine schöne, junge Frau, Frau Trud Minde, modisch gekleider, aber mit strengen Zügen, war, während die Beiden noch plauderten, über den Hof gekommen und hatte sich hinter einem Weinspalier versteckt, das den geräumigen, mit Gebäuden umstandenen Minde'schen Hof von dem etwas niedriger gelegenen Garten trennte. Sechs Stufen führten hinunter. Nichts war ihr hier ent­gangen, und die widerstreitendsten Gefühle, nur keine freundlichen, hatten sich