Heft 
(1879) 26
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Theodor Fontane in Berlin.

Ein solcher Tag, und der bittersten einer, war der Weihnachtstag, an dem auch diesmal ein Christbaum angezündet wurde. Aber nicht für Grete. Grete war ja groß, nein, nur für das Kleine, das denn auch nach den Lichtern haschte und vor allem nach dem Goldfchaum, der reichlich in den Zweigen glitzerte,'s ist Gerdt's Kind" sagte Grete, der ihres Bruders Geiz und Habsucht immer ein Abscheu war; und sie wandte sich ihren eigenen Geschenken zu. Es waren ihrer nicht allzu viele: Lebkuchen und Aepfel und Nüsse, sammt einem dicken Spangen-Gesangbuch (trotzdem sie schon zwei dergleichen hatte), ans dessen Titelblatt in großen Buchstaben und von Trud's eigener Hand geschrieben war: Sprüche Salomonis Kap. 16 , Vers 18 .

Sie kannte den Vers nicht, wußte aber, daß er ihr nichts Gutes bedeuten könne, und sobald sichs gab, war sie treppauf, um in der großen Bibel nach­zuschlagen. Und nun las sie:Wer zu Grunde gehen soll, der wird stolz,

und stolzer Muth kommt vor dem Fall."

Es schien nicht, daß sie verwirrt oder irgendwie betroffen war, sie strich nur, schnell entschlossen, die von Trud eingeschriebene Zeile mit einer dicken Feder durch, blätterte hastig in dein alten Testamente weiter, als ob sie nach einer bekannten, aber ihrem Gedächtnis; wieder halbentfallenen Stelle sülche, und schrieb dann ihrerseits die Prophetenstelle darunter, die des alten Jacob Minde letzte Mahnung an Trud enthalten hatte:Lasse die Waisen Gnade bei Dir finden." Und nun flog sie wieder treppab und legte das Buch an seinen alten Platz. Trud aber hatte wohl bemerkt, was um sie her vorgegangen, und als sie mit Gerdt allein im Zimmer war, sah sie nach und sagte, während sie sich verfärbte:sieh und lies!" Und er nahm nun selber das Buch und las und lachte vor sich hin, wie wenn er sich ihrer Niederlage freue. Denn seine hämische Natur kannte nichts Lieb'res als den Aerger andrer Leute, seine Frau nicht ausgenommen. Zwischen dieser aber und Greten unterblieb jedes Wort, und als der Fasching kam, den die Stadt diesmal ausnahmsweise prächtig mit Aufzügen und allerlei Mummenschanz feierte, schien der Zwischenfall vergessen. Und auch um Ostern, als sich alles zu dem herkömmlichen großen Kirchgang rüstete, hütete sich Trud wohl, nach dein Buche zu fragen. Wußte sie doch, daß es Gret' unter dem Weißzeug ihrer Truhe versteckt hatte. Denn sie mocht' es nicht sehen.

Der Herr Lhursürst kommt.

Und nun war Hochsommerzeit (der längste Tag schon um vier Wochen vorüber) und die Bürger, wenn sie spät Abends aus dem Rathhauskeller heim­gingen, versicherten einander, was übrigens Niemand bestritt,daß die Tage schon wieder kürzer würden." Da kam an einem Mittewochen plötzlich die Nach­richt in die Stadt, daß der allergnädigste Herr Churfürst einzutrefsen und einen Tag und eine Nacht aus seiner Burg Tangermünde zuzubringen gedenke. Das gab ein großes Aufsehen, und noch mehr der Unruhe, weilen der Herr Chursürst in eben jenen Tagen nicht blos von seinem lutherischen Glauben zum