Heft 
(1879) 26
Seite
171
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Grete Min de.

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Lange Straße hinunter, bis an das Mindesche Hans, das nun ihre war. Nur Grete war geblieben und huschte heimlich in die Kirche zurück und setzte sich ans die Bahre, die noch an alter Stelle stand. Sie wollte beten, aber sie konnte nicht, und sah immer nur Trud, so herb und streng wie sie sie früher gesehen hatte, und fühlte deutlich, wie sich ihr das Herz dabei znsammenschnürte. Und eine Vorahnung überkam sie wie Gewißheit, daß Regine doch Wohl Recht gehabt haben könne. So saß sie und starrte vor sich hirr und fröstelte. Und nun sah sie plötzlich auf und gewahrte, daß das Abendroth in den hohen Chorfenstern stand und daß alles um sie her wie in lichtem Feuer glühte: die Pfeiler, die Bilder und die hochaufgemanerten Grabsteine. Da war es ihr, als stünde die Kirche rings in Flammen, und von rasender Angst erfaßt, verließ sie den Platz, auf dem sie gesessen und floh über den Kirchhof hin.

In den engen Gassen war es schon dunkel geworden, der rothe Schein, der sie geängstigt, schwand vor ihren Augen, und ihr Herz begann wieder ruhiger zu klopfen. Als sie aber den Flur ihres Hauses erreicht hatte, stieg sie zu Reginen hinaus und umarmte sie und küßte sie, und sagte: Regine, nun bin ich ganz allein. Eine Waise!"

8. Eine Ritter kette.

Eine Waise war sie und sie sollt' es nur allzubald empfinden. Anfangs ging es, auch noch um die Christzeit, als aber Ostern heran kam, wurd' es anders im Hans, denn es geschah, was nicht mehr erwartet war: Trud genas eines Kuäbleins. Da war nun die Freude groß und auch Grete freute

sich. Doch nicht lange. Bald mußte sie wahrnehmen, daß das Neugeborene alles war und sie nichts; Regine kochte den Brei, und sie gab ihn. Daß sie selber ein Herz habe und ein Glück verlange, daran dachte niemand; sie war nur da tun Andrer Glückes nullen. Und das verbitterte sie.

Ein Trost war, daß sie Valtin häufiger sah. Denn Trud hatte für nichts Sinn mehr, als für das Kind, und nur selten, wenn sic sich ans Laune oder Zufall aus ihr Hüteramt besann, fiel sie vorübergehend in ihre frühere Strenge zurück.

So vergingen die Tage, meist ohne Streit, aber noch mehr ohne Lust und Freud', und als es fahrig war, daß sie den alten Minde von seinem Platz vor dem Altar auf den Kirchhof hinaus getragen hatten, ging Grete, gen Sauet Stephan, um seiner an seinem Grabe zu gedenken.

Es war ein schöner Octobertag und die Kastanien lagen ausgestrent umher. Grete setzte sich ans den Hügel, und das Bild des geliebten Todten stand wieder vor ihrer Seele, blaß und freundlich, und sie hing ihm noch in süßer Trauer nach, als sie sich plötzlich bei Namen gerufen hörte. Sie sah auf und erkannte Valtin. Er hatte sie das Hans verlassen sehen und war ihr nachgegangen.

Wie geht es?" fragte Grete.