Heft 
(1880) 40
Seite
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Deiner Antwort sei schonend, aber verschweige nichts. Ich muß das Un­angenehme, das Schmerzliche tragen lernen. Es ist nicht anders. Ueber all das geb ich mich keinen Illusionen hin. Wer in die Mühle geht, wird weiß. Und die Welt wird schlimmere Vergleiche wählen. Ich möchte nur, daß, bei meiner Verurtheilung, über diemildernden Umstände" nicht ganz hinweg gegangen würde. Denn sieh, ich konnte nicht anders. Und ich habe nur noch den einen Wunsch, daß es mir vergönnt sein möchte, dies zu beweisen. Aber dieser Wunsch wird mir versagt bleiben und ich werd' allen Trost in meinem Glück und alles Glück in meiner Zurückgezogenheit suchen und finden müssen. Und das werd', ich. Ich habe genug von dem Geräusch des Lebens gehabt und ich sehne mich nach Einkehr und Stille. Die Hab' ich hier. Ach, wie schön ist diese Stadt, und mitunter ist es mir, als wär' es wahr und als käm' uns jedes Heil und jeder Trost aus Rom und nur aus Rom. Es ist ein seliges Wandeln an diesem Ort, ein Sehen und Hören als wie im Traum.

Und nun meine süße Jacobine, lebe wohl und schreibe recht, recht viel und recht ausführlich. Es interessirt mich alles, und ich sehne mich nach

Nachricht, vor allem nach Nachricht .... Aber Du weißt es ja. Nichts

mehr davon. Immer die Deine. Melanie R.

Der Brief wurde noch denselben Abend zur Post gegeben, in dem dunklen Gefühl, daß eine rasche Beförderung auch eine rasche Antwort erzwingen könne. Aber diese Antwort blieb aus, und die darin liegende

Kränkung würde sehr schmerzlich empfunden worden sein, wenn nicht Melanie, wenige Tage nach Absendung des Briefes, in ihre frühere Melancholie zurückverfallen wäre. Sie glaubte bestimmt, daß sie sterben werde, versuchte zu lächeln und brach doch plötzlich in einen Strom von Thränen aus. Denn sie hing am Leben und genoß inmitten ihres Schmerzes ein unend­liches Glück: die Nähe des geliebten Mannes.

Und sie hatte wohl Recht, sich dieses Glückes zu freuen. Denn alle

Tugenden Rubehns zeigten sich um so Heller, je trüber die Tage waren. Er

kannte nur Rücksicht, keine Mißstimmung, keine Klage wurde laut, und über das Vornehme seiner Natur wurde die Zurückhaltung darin vergessen.

Und so vergingen trübe Wochen.

Ein deutscher Arzt endlich, den man zu Rathe zog, erklärte, daß vor allem das Stillsitzen vermieden, dagegen umgekehrt für beständig neue Ein­drücke gesorgt werden müsse. Mit anderen Worten, was er vorschlug war ein beständiger Orts- und Luftwechsel. Ein solch' tagtägliches Hin und Her sei freilich selber ein Uebel, aber ein kleineres, und jedenfalls das einzige Mittel der inneren Ruhelosigkeit abzuhelsen.

Und so wurden denn neue Reisepläne geschmiedet und von der Kranken apathisch angenommen.

In kurzen Etappen, unter geflissentlicher Vermeidung von Eisenbahn und großen Straßen, ging es durch Umbrien immer höher hinauf an der Ost-