Heft 
(1880) 40
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XV. Die Vernezobres.

Und was geplant worden war, das war Flucht. Den letzten Tag im Januar wollten sie sich an einem der Bahnhöfe treffen, in früher Morgenstunde, und dann fahren weit, weit in die Welt hinein, nach Süden zu, über die Alpen.Ja über die Alpen" hatte Melanie gesagt und auf- geathmet, und es war ihr dabei gewesen, als war' erst ein neues Leben für sie gewonnen, wenn der große Wall der Berge trennend und schützend hinter ihr läge. Und auch darüber ward gesprochen worden, was zu ge­schehen habe, wenn Van der Straaten ihr Vorhaben etwa hindern wolle. Das wird er nicht", hatte Melanie gesagt.Und warum nicht? Er ist nicht immer der Mann der zarten Rücksichtsnahmen und liebt es mitunter die Welt und ihr Gerede zu brüskiren".Und doch wird er sich's ersparen, sich und uns. Und wenn Du wieder fragst, warum? Weil er mich liebt. Ich Hab' es ihm freilich schlecht gedankt. Ach, Rüben, Freund, was sind wir in unserem Thun und Wollen! Undank, Untreue . . . nur so verhaßt! Und doch ... ich thät' es wieder alles, alles. Und ich will es nicht anders als es ist".

So vergingen die Januarwochen. Und nun war es die Nacht vor deni festgesetzten Tage. Melanie hatte sich zu früher Stunde niedergelcgt und ihrer alten Dienerin befohlen, sie Punkt drei zu wecken. Auf diese konnte sie sich unbedingt verlassen, trotzdem Christel ihren Dienstjahren, aber freilich auch nur diesen nach, zu jenen Erbstücken des Hauses gehörte, die sich, unter Duquedes Führung, in einer stillen Opposition gegen Melanie gefielen.

Und kaum daß es drei geschlagen, so war Christel da, fand aber ihre Herrin schon auf und konnte derselben nur noch beim Ankleiden behülflich sein. Und auch das war nicht viel, denn es zitterten ihr die Hände, und sie hatte, wie sie sich ausdrückteeinen Flimmer vor den Augen". Endlich aber war doch alles fertig, der feste Lederstiefel saß, und Melanie sagte: So ist's gut, Christel. Und nun gieb die Handtasche her, daß wir packen können".

Christel holte die Tasche, die dicht am Fenster auf einer Spiegelconsole stand, und öffnete das Schloß.Hier, das thu hinein. Ich Hab' alles

ausgeschrieben". Und Melanie riß, als sie dies sagte, ein Blatt aus ihrem Notizbuch und gab es der Alten. Diese hielt den Zettel neben das Licht und las und schüttelte den Kopf.

Ach meine gute, liebe Frau, das ist ja gar nichts . . . Ach, meine liebe, gute Frau Sie sind ja ..."

So verwöhnt, willst Du sagen. Ja Christel, das bin ich. Aber Verwöhnung ist kein Glück. Ihr habt hier ein Sprichwort:wenig mit Liebe". Und die Leute lachen darüber. Aber über das Wahrste wird immer gelacht. Und dann, wir gehen ja nicht aus der Welt. Wir reisen blos. Und aus Reisen heißt es: Leicht Gepäck. Und sage selbst, Christel,