Heft 
(1880) 40
Seite
84
Einzelbild herunterladen

8H

Theodor Fontane in Berlin.

mußten schon ans dem Hintertreppenwege von dem bevorstehenden Ereignisse gehört haben, denn sie hatten sich in die halbgeöffnete Souterrain-Thür Postirt und guckten einander über die Köpfe fort. Melanie sah es und sagte vor sich hin:T ointz-cknvs >vonäsr! Ich bin eine Sehenswürdigkeit geworden. Es war mir immer das Schrecklichste".

Und nun stieg sie hinaus und klingelte. Riekchen war schon da, die Schwestern küßten sich und sagten sich Freundlichkeiten über ihr gegenseitiges Aussehen. Und alles verrieth Aufregung und Freude.

Das Wohn- und Empsangzimmer, in das man jetzt eintrat, war ein großer und lustiger, aber im Verhältniß zu seiner Tiefe nur schmaler Raum, dessen zwei große Fenster (ohne Pfeiler dazwischen,) einen nischenartigen Ausbau bildeten. Etwas Feierliches herrschte vor, und die rothen, von beiden Seiten her halb zugezogenen Gardinen gaben ein gedämpftes, wunder­volles Licht, das auf den weißen Tapeten reflectirte. Nach hinten zu, der Fensternische gegenüber, bemerkte man eine hohe Thür, die nach dem dahinter gelegenen Eßzimmer führte.

Melanie nahm aus einem kleinen Sopha neben dem Fenster Platz, die beiden anderen Damen mit ihr, und Jacobine versuchte nach ihrer Art eine Plauderei. Denn sie war ohne jede tiefere Bewegung und betrachtete das Ganze vom Standpunkt einer dramatischen Matinee. Riekchen aber, die wohl wahrnahm, daß die Blicke Melanies immer nur nach der einen Stelle hin gerichtet waren, unterbrach endlich das Gespräch und sagte:Laß, Binchen. Ich werde sie nun holen".

Eine peinliche Stille trat ein, Jacobine wußte nichts mehr zu sagen und war herzlich froh, als eben jetzt vom Platze her die Musik eines vorüberziehenden Garde-Regiments hörbar wurde. Sie stand aus, stellte sich zwischen die Gardinen, und sah nach rechts hinaus . . .es sind die Ulanen", sagte sie.Willst Du nicht auch ..." Aber ehe sie noch ihren Satz beendet, öffnete sich unten die große Flügelthür und Riekchen, mit den beiden Kindern an der Hand, trat ein.

Die Musik draußen verklang.

Melanie hatte sich rasch erhoben und war den verwundert und beinah' erschrocken dastehenden Kindern entgegengegangen. Als sie aber sah, daß Lydia einen Schritt zurück trat, blieb auch sie stehen und ein Gefühl unge­heurer Angst überkam sie. Nur mit Mühe brachte sie die Worte heraus: Heth, mein süßer, kleiner Liebling . . . Komm . . . Kennst Du Deine Mutter nicht mehr".

Und ihre ganze Kraft zusammen nehmend, hatte sie sich bis dicht an die Thüre vorbewegt und bückte sich, um Heth mit beiden Händen in die Höhe zn heben. Aber Lydia warf ihr einen Blick bitteren Hasses zu, riß das Kind am Achselbande zurück und sagte:Wir haben keine Mutter mehr".

Und dabei zog und zwang sie die halbwiderstrebende Kleine mit sich fort und zn der halb offen gebliebenen Thür hinaus.