90 - Theodor Fontane in Berlin.-
Eurem Hause Unglück bedeutet, mir bedeutet es Glück, und nun weiß ich es, es kommt Alles wieder iu Schick und Richtung, weit über all mein Hoffen und Erwarten hinaus. . . Als ich damals ging, und das letzte Gespräch mit ihm hatte, sieh, da sprach ich von den Menschlichen unter den Menschen. Und es ist mir, als war es gestern gewesen. Und auf diese Menschlichen baut' ich meine Zukunft und rechnete darauf, daß sie's versöhnen'würde: ich liebte Dich! Aber es war ein Fehler, und auch die Menschlichen haben mich im Stich gelassen. Und jetzt muß ich sagen, sie hatten Recht. Denn die Liebe thut es nicht und die Treue thut es auch nicht. Ich ineine die Werkeltagstreue, die nichts Besseres kann, als sich vor Untreue bewahren. Es ist eben nicht viel, treu zu sein, wo man liebt und wo die Sonne scheint und das Leben bequem geht und kein Opfer fordert. Nein, nein, die bloße Treue thut es nicht. Aber die bewährte Treue, die thut es. Und nun kann ich mich bewähren und will es und werd' es, und nun kommt meine Zeit. Ich will nun zeigen, was ich kann und will zeigen, daß alles Geschehene nur geschah, weil es geschehen mußte, weil ich Dich liebte, nicht aber weil ich leicht und übermüthig in den Tag hineinlebte und nur darauf aus war, ein bequemes Leben in einem noch bequemeren fortzusetzen".
Er sah sie glücklich an und der Ausdruck des Selbstsuchtslosen in Wort und Miene riß ihn aus der tiefen Niedergedrücktheit feiner Seele heraus. Er hoffte nun selber wieder, aber Bangen und Zweifel liefen nebenher, und er sagte bewegt: „Ach, meine liebe Melanie, Du warst immer ein Kind
und Du bist es auch in diesem Augenblicke noch. Ein verwöhntes und ein gutes, aber doch ein Kind. Sieh, von Deinem ersten Athemzuge an hast Du keine Noth gekannt, ach, was spreche ich von Noth, nie, so lange Du lebst, ist Dir ein Wunsch unerfüllt geblieben. Und Du hast gelebt wie im Märchen „Tischlein decke Dich" und das Tischlein hat sich Dir gedeckt, mit Allem was Du wolltest, mit Allem was das Leben hat, auch mit Schmeicheleien und Hiebkosungen. Und Du bist geliebkoft worden wie ein King-Charles- Hündchen mit einem blauen Band und einem Glöckchen daran. Und Alles was Du gethan hast, das hast Du spielend gethan. Ja, Melanie, spielend. Und nun willst Du auch spielend entbehren lernen und denkst: es findet sich. Oder denkst auch wohl, es sei hübsch und apart und schwärmst für die Poeten- hütte, die Raum hat für ein glücklich liebend Paar, oder wenigstens haben soll. Ach es liest sich erbaulich von dem blankgescheuerten Eßtisch und dem Maienbusch in jeder Ecke und von dem Zeisig, der sich das Futternäpfchen selber heranzieht. Und es ist schon richtig: Die gemalte Dürftigkeit sieht
gerade so gut aus, wie der gemalte Reichthum. Aber wenn es aufhört Bild und Vorstellung zu sein und wenn es Wirklichkeit und Regel wird, dann fft Armuth ein bitteres Brot, und Muß eine harte Nuß".
Es war umsonst. Sie schüttelte nur den Kopf, immer wieder, und sagte dann in jener einschmeichelnden Weise, der so schwer zu widerstehen war: „Nein, nein, Du hast Unrecht. Und es liegt Alles anders, ganz