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Theodor Fontane in Berlin.
die modern und elegant eingerichtete Wohnung gegen eine schlichtere vertauscht und das Stundengeben hatte begonnen. Ihre Kenntniß des Französischen und beinahe mehr noch ihr glänzendes musikalisches, auch nach der technischen Seite hin vollkommen ausgebildetes Talent, hatten es ihr leicht gemacht eine Stellung zu gewinnen und zwar in ein paar großen, schlesischen Häusern, die gerade vornehm genug waren, den Tagesklatsch ignoriren zu können.
Und bald sollte es sich Herausstellen, wie nöthig diese raschen und resoluten Schritte gewesen waren, denn der Zusammensturz erfolgte jäher als erwartet und jede Form der Einschränkung erwies sich als geboten, wenn nicht mit der finanziellen Reputation des großen Hauses auch die bürgerliche verloren gehen sollte. Jede neue Nachricht, von Frankfurt her, bestätigte dies und Rüben, der anfangs nur all zu geneigt gewesen war, den Eifer Melanies für eine bloße Opfer-Caprice zu nehmen, sah sich alsbald gezwungen, ihrem Beispiele zu folgen. Er trat als amerikanischer Correspondent in ein Bankhaus ein, zunächst mit nur geringem Gehalt, und war überrascht und glücklich zugleich, die berühmte Poeten-Weisheit von der „kleinsten Hütte" schließlich an sich selber in Erfüllung gehn zu sehn.
Und nun folgten idyllische Wochen, und jeden neuen Morgen, wenn sie von der Wilmersdorfer Feldmark her am Rande des Thiergartens hin ihren Weg nahmen und an ihrer alten Wohnung vorüber kamen, sahen sie zu der eleganten Mansarde hinauf und athmeten freier, wenn sie der zurückliegenden schweren und sorgenreichen Tage gedachten. Und dann bogen sie plaudernd in die schmalen, schattigen Gänge des Parkes ein, bis sie zuletzt unter der schräg liegenden Hängeweide fort, die zwischen dem Königsdeukmal und der Louiseninsel steht und hier beinahe den Weg sperrt, in die breite Thiergartenstraße wieder einmündeten. Den schräg liegenden Baum aber nannten sie scherzhaft ihren Zoll- und Schlagbaum, weil sich dicht hinter demselben ein Leiermann postirt hatte, dem sie Tag um Tag ihren Wegezoll entrichten mußten. Er kannte sie schon, und während er die große Mehrheit, als wären es Stenerdefraudanten, mit einem zornig-verächtlichen Blicke verfolgte, zog er vor unsrem jungen Paare regelmäßig seine Militärmütze. Ganz aber könnt' er sich auch ihnen gegenüber nicht zwingen und verleugnen, und als sie den schon Pflicht gewordenen Zoll eines Tages vergessen oder vielleicht auch absichtlich nicht entrichtet hatten, hörten sie, daß er die Kurbel in Wuth und Heftigkeit noch dreimal drehte und dann so jäh und plötzlich abbrach, daß ihnen ein paar unfertige Töne wie Knurr- und Scheltworte nachklangen. Melanie sagte: „Wir dürfen es mit Niemand verderben, Rüben;
Freundschaft ist Heuer rar". Und sie wandte sich wieder um und ging auf den Alten zu und gab ihm. Aber er dankte nicht, weil er noch immer in halber Empörung war.
Und so verging der Sommer und der Herbst kam, und als das Laub sich zu färben und an den Ahorn- und Platanenbäumen auch schon abzu- sallen begann, da hatte sich bei denen, die Tag um Tag unter diesen