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Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern für die Grundschule : Erfahrungen - Ergebnisse - Probleme / [Universität Potsdam. Hrsg.: Direktorium des Instituts für Grundschulpädagogik]. Tassilo Knauf ...
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Männern. Deren Verhalten und Lebenssituation wird differenziert beobachtet und beschrieben. Der geschlechtsdifferente Ansatz übergeht nicht länger die sozıale Realität der Zweigeschlechtlichkeit in dieser Gesellschaft.

Aber die Tatsache der geschlechtsdifferenten Betrachtung allein sagt weder etwas über den erkenntnistheoretischen Ansatz noch über Gesellschaftsverständnis und Menschenbild aus, auf dessen Hindergrund die beobachtete Geschlechterdifferenz rezipiert wird. So kann der geschlechtsdifferente Ansatz reaktionären Tendenzen Vorschub leisten, wenn er im Stadium der phänomenologischen Beschreibung stehen bleibt und damit

e Geschlechterstereotype bestätigt und verfestigt oder

e die unterschiedliche Bedeutung von phänomenologisch gleichem Verhalten für Mädchen und Jungen bzw. die gleiche Bedeutung von unterschiedlichem Verhalten nicht erfaßt bzw. leugnet.

Um zu handlungsrelevanten Erkenntnissen zu gelangen, müssen geschlechtsdıiffe­renziert erfaßte Phänomene, Erlebnisse und Beobachtungen in einen gesellschafts­theoretischen Kontext gestellt und in bezug darauf analysiert werden. Aussagen wie "Die Mädchen haben ruhig den Frühstückstisch gedeckt, die Jungen haben gerangelt und immer wieder alles umgeschmissen"(Hospitationsbericht einer Studentin) oder "Die Mädchen beschimpfen sich auch selbst mitDu alte Votze(Aussage einer Grundschullehrerin) sind auf dem Hintergrund der feministischen Analyse gesellschaftlicher Strukturen zu interpretieren. Der Frage des"Was finden wir vor" muß die auf gesellschaftliche Strukturen bezogene Frage des"Warum ist das so?" folgen.

Diese Form der geschlechtsdifferenten Betrachtung, die die Hierarchisierung der Geschlechter als ein konstruiertes und herrschaftssicherndes Strukturmerkmal unserer Gesellschaft mitdenkt(und von Frauen und Männern zu leisten ist), haben wir patriarchatskritisch genannt. Ziel patrıarchatskritischer Forschung ist die Bewußtwerdung und der Abbau der Geschlechterhierarchie. Den dieser Hierarchie zugrundeliegenden Mechanismen von Dominanz und Unterwerfung sowie deren subjektiver Aneignung durch Mädchen und Jungen, Frauen und Männer soll entgegengewirkt werden.

Im Verlauf der Arbeit im Studienreformprojekt PIL ist immer deutlicher geworden, wie wichtig es ist, nicht nur das Geschlechterverhältnis, sondern auch andere Macht- und Diskriminierungsverhältnisse- wie z.B. Rassismus und Heterosexismus - und deren Verschränkungen im Blick zu behalten.

Das persönliche Involviertsein in die Thematik

Die Studentinnen und Studenten zeigten in bezug auf die Bearbeitung geschlechtsdifferenter Fragestellungen ganz unterschiedlich ausgeprägtes Interesse bzw. Vorbehalte. Während sich bei einigen Studierenden großes Interesse entwickelte und sie sehr engagiert arbeiteten, haben andere die geschlechtsdifferente Fragestellung immer wieder aus dem Blick verloren bzw. generell in Frage gestellt. Auch bei Besuchen in regulären Lehrveranstaltungen waren die Reaktionen der

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