So klug er war, es fehlte doch noch ein Letztes von Klugheit, oder er hatte an die Ausammenschweißung doch nicht Zeit genug gesetzt, vielleicht weil er sich sagte: „Das nutzt mir alles nichts; für die große Masse meiner Zuhörer reicht die Sache gerade aus, sie merken nichts und finden es fein und geistreich zugleich, also eigentlich ein Ideal. Und die Höherpotenzierten, die ganz scharf zusehen, die kann ich doch nicht zufriedenstellen, auch wenn ich mir die größte Mühe gebe, eine Art neuer Lehre oder ein bergpredigthaftes Christentum mit Adresse ans 'Volk' herzustellen." Seine große Szene mit Pfannschmidt zog ihn: doch eine Art Niederlage zu. Er nahm den Kampf auf in vollem Siegesmut, denn er war grenzenlos verwöhnt, gerade in diesem Kreise, in bestimmten Beziehungen noch viel mehr als ich. Er konnte sagen, was er wollte, je kühner und verwegener es war, je mehr freuten sich die Wangenheimschen Damen darüber, weil sie darin ein sicheres Zeichen sahen: „Das muß im Katholizismus enden." (Und wer weiß, was gekommen wäre.) Ich meinerseits sah das Verwegene der Sache staunend an, aber gerade diese Gewagtheit, wie beim Turmseil, hatte so was Anziehendes für mich, daß ich gar nicht daran dachte, mich kritisch dazu zu stellen, ich bewunderte nur den Mut und die Geschicklichkeit. Auf dem Heimwege sagte ich dann wohl: „Was doch alles gemacht werden kann." Ich war ihm aber außerordentlich zugetan und hielt große Stücke von ihm. Alles war anders. Dies war es auch, was ihm bei den königlichen Damen seine Stellung durch Jahrzehnte hin gesichert hatte. Es war der Sieg des Aparten und Geistreichen. Er beherrschte den Kreis — aber einmal ging es ihm schlecht. Das war an einem Abend, wo auch Professor Pfannschmidt geladen war, außer der W.schen Familie selbst nur Windel, Pfannschmidt, ich. Er hatte gehört, daß Pfannschmidt ein „Frommer" und sehr beschlagen sei, was ihn aber bloß mit Heiterkeit erfüllt hatte, und kurz und gut, er orakelte wieder in seinem Schopenhauerstil
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