Eine Weltkultur liegt in Trümmern. Eine Weltkatastrophe ohnegleichen hat das alte Staatenshstem zersprengt und die Gemüter in ihren Gründen erschüttert. Aber siehe, aus dem ungeheuren Schutt, der heute das Antlitz der Erde deckt, züngelt von Land zu Land, weithin sichtbar, die fahle Flamme des Judenhasses empor. Juden nicht minder wie Christen decken auf den Schlachtfeldern der Erde in gleicher Weise als Leichen den Plan. Aber selbst die Flammen des Totenbrandes schlagen nicht zusammen und teilen sich, weithin sichtbar: ein Schauder erweckender An- blick. Nicht einmal das gemeinsame Leid konnte Ver- söhnung bringen. Nicht einmal der furchtbare Schmelztiegel dieses Krieges die widerstrebenden Elemente verschmelzen. Judenzählung hier, Plünderung der Judenläden dort, Be- zichligung der Juden wegen Verrats, wegen ungeheurer Kriegsbereicherung, ja Bezichtigung der Schuld am ganzen Kriege: fast scheint es, als ob von allen Internationalismen
der — Judenhaß allein übrig geblieben ist.--
Es geht nicht an, diesen elementaren Judenhaß mit hervorstechenden Eigenschaften einer mehr oder minder großen Zahl von Juden in Verbindung zu bringen oder gar restlos zu erklären. Diese vielbesprochenen Eigenschaften sind höchstens das Spalier, an dem sich der längst vorhandene Haß eilfertig emporschlingt. Erzeuger des Hasses sind sie sicher nicht. Die nämlichen Eigenschaften zeigen sich auch bei einzelnen Christen, aber die, Christen gegenüber, aus ihnen sich entwickelnde Abneigung unterscheidet sich in nichts von der allgemeinen Abneigung, die der moralische Mensch der Immoralität oder der Amoralität entgegenbringt, und bleibt als solche lediglich gegen die damit behafteten Individuen gerichtet. Ehe der Judenhaß dem Judentum bestimmte Eigenschaften nachsagte und seinen Haß auf sie begründete, mußte er bereits die Einheit des Judentums vorgefunden haben und dadurch allererst in die Lage versetzt worden sein, der allgemeinen Abneigung gegen gewisse Menschliche Eigenschaften, bei wem immer sie sich vorfinden, eine genaue Richtung gegen eine Menscheneinheit zu geben, die nicht erst analytisch durch diese Eigenschaften gebildet wurde, sondern gewissermaßen als ihr Substrat synthetisch bereits vorhanden war. Die Entdeckung gewisser Eigen-
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