Erden, ein dunkles Ahnen von Werten, die viel zu voreilig im Stich gelassen worden, ein leises Sehnen nach Kenntnis des Urgrunds, aus dem jüdisches Sein und jüdisches Wesen entquollen. Sonderbar! Die meisten liberalen Juden, wenn sie selbst dem jüdischen Religionsgesetz seit zwei oder drei Generationen den Rücken gekehrt haben, tragen dennoch das Zeichen des Religionsgesetzes an ihrem Leibe: die Be- schneidung , ei ne Forderung des jüdischen Religionsgesetzes wie jede andere, wird regelmäßig auch von den liberalen Juden vorgenommen. Die radikalen „Richtlinien" der neologen Rabbiner aus der jüngsten Vergangenheit haben an ihr nicht zu rütteln gewagt. Und dennoch sollte man meinen, daß ein solcher Akt am achttägigen Kinde nur der tiefen religiösen Überzeugung, nur der unbedingten Hingabe an das Religionsgesetz erträglich erscheinen kann. Aber es ist, als ob die liberalen Juden sich und ihren Kindern den Rückzug zum Religionsgesetz nicht von vornherein und endgültig versperren möchten. Es ist, als ob eine an Aberglauben grenzende Scheu den Vater davon abhält, das zarte Leben seines neugeborenen Kindes einer flagranten Verletzung einer grundlegenden Bestimmung des Religionsgesetzes auszusetzen. Man kann ja nicht wissen .... Er hat das Religionsgesetz verlassen, aber er hat es oft nicht ganz überwunden.-
Die Judenliebe ist der psychische Ausdruck der Judeneinheit. Die Intensität dieser Liebe ist ein einwandfreier Gradmesser für die gewaltige Ausprägung der Einheit. Daß die Einheit keine Einheit der Organisation ist. wurde bereits bemerkt. Aber man kann sie auch nicht mit der Judenliebe einfach gleichsetzen. Gewiß gibt es Beziehungen unter den Menschen, die lediglich auf dem Gefühl beruhen, die sich in dem Gefühl völlig erschöpfen, z. B. die Freundschaft. Allein die Judenliebe ist gerade ein aus dem Bewußtsein der Zusammengehörigkeit erwachsenes Gefühl, und es geht nicht an, dieses Bewußtsein umgekehrt auf das Gefühl zurückzuführen. Das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit, wie es nun einmal besteht, ist vielmehr eine historische Tatsache, die nur historisch ihre Begründung und Deutung finden kann.
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