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Judenproblem / von I. Breuer
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Juden gegenüber neuzuorientieren und den Tüchtigen, auch wenn sie Juden sind, freie Bahn zu schaffen. Den Juden aber ist Geduld anzuraten.

Mit vollem Recht hat bis jetzt der Sozialismus dem Zionismus. gegenüber eine ablehnende Haltung ein­genommen. Der Sozialismus ist nicht für die Trennung der Menschen, sondern für ihre Einigung. Der Zionismus, der die Gründung des Judenstaates als höchstes Ziel hin­stellt, erscheint ihm fast in einem chauvinistischen Lichte. Er hat genug an den bestehenden Staaten. Er befindet sich hinsichtlich der Arbeiter im Grunde in ganz ähnlicher Lage, wie der Zionismus gegenüber den Juden. Auch die Arbeiter aller Länder sind, gleich den Juden, bedrückt, auch ihnen ist, gleich den Juden, die Bahn nicht geöffnet, auch wenn sie tüchtig sind. Hat denn aber der Sozialismus deshalb je daran gedacht, einen Arbeiterstaat zu gründen? Ist er nicht statt dessen überall daran gegangen, die Innenverhältnisse der bestehenden Staaten so zu ändern, daß keine Gesellschafts­klaffe die andere beherrscht und allen die gleiche Möglichkeit, sich auszuwirken, gegönnt werde? Warum soll es mit den Juden anders gehen? Der Zionismus ist neben dem Sozialismus überflüssig, denn im sozialistischen Zukunfts- staat ist auch die Judenfrage, wie der Zionismus sie begreift, restlos gelöst.

Der Sozialismus ist nicht antinational. Gerade im Weltkrieg hat es sich gezeigt, daß die Sozialisten aller Länder, weil sie die Selbständigkeit und Unabhängigkeit ihrer natio­nalen Kultur bedroht glaubten, willig die Waffen ergriffen und den Staat als Schützer der Kultur verteidigt haben. Könnte der Zionismus auf eine geknechtete Natio­nal kultur verweisen, so müßte der Sozialismus seiner Grundidee nach für ihre Befreiung, für ihren Schutz durch eigenes Recht und das eben heißt ja Staat mit aller Energie eintreten. So wenig innerhalb eines Staates die Herrschaft einer Klasse über die andere, so wenig darf zwischenstaatlich die Herrschaft einer Nation über die andere geduldet werden.

Aber nur die eigene Kultur bedarf des eigenen Rechts. Den Staat erstre ben, um Kultur zu erzeugen, ist ebenso ungeschichtlich wie unsozialistisch. Der Staat, die eine

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