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Judenproblem / von I. Breuer
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streuten in die alte Heimat zurückruft? In der blutgetränkten Staatengeschichte sah sie nichts als dieSpuren des Messias", der, wenn die Zeit gekommen, Elias vorausschickt, ihr wie der Menschheit die frohe Botschaft der Erlösung zu bringen. Für ihn duldete sie, auf ihn harrte sie. Immer fester schlang sie das Band der Treue zum Gottesgesetz um ihre Glieder, die ganze Schärfe ihres Geistes und die ganze Tiefe ihres Gemütes gab sie ihm willig hin und fand, um­geben von Nationen, denen Ruhm und Gewinn höher als das Recht stand, Seelenberuhigung und Lebensinhalt in der restlosen Erfassung des Staat, Gesellschaft und Individuum zu Gott hinführenden Gesetzes, in der den Staaten der Erde immer klarer entgegengestellten Erkenntnis des Staates, wie er sein sollte, des Gottesstaates der Zukunft. Ihm allein galt ihre Sehnsucht. Ihm wahrte sie unter tausend täglichen Opfern ihre nationale Existenz, ihm blieb ihr die Heimat geweiht als Boden des Gottesstaates, für immer vermählt mit der Gottesstaatsnation. Durch das Nationalgesetz bei jeder Lebensäußerung zu Gott gewiesen, wuchs in den Herzen der Juden nun erst, erst in der Ver­bannung, jene Frömmigkeit, jene Ganzheit mit Gott empor, die die Propheten an ihnen im alten Juden­staat so schmerzlich vermißt hatten. Das Nationalgesetz voll­zog sein Erziehungswerk. Es kamen Generationen auf, deren Seelen das Nationalgesetz so innig mit Gott geeint, daß ihnen Männer erstanden, die, gestützt auf uralte, heimliche Überlieferung, den umgekehrten Weg zu beschreiten ver­mochten: wie sie die umfassende Kenntnis und rastlose Übung des Gesetzes in Gott hatte münden lassen, so gingen sie, nachdem die Zwangsnormen ihres praktischen Sollens Zu freien Normen ihres sittlichen Seins geworden, daran, aus Gott das Gesetz und damit die Welt zu begreifen. Die Mystik des Judentums, die im Zwangsbereich des Nationalgesetzes und gerade durch Vermittlung des National­gesetzes hat erwachsen können, ist der unumstößliche Beweis für den Charakter dieses Gesetzes, das durch Zwang zur Freiheit führt.-

Ganz in Gott getaucht, durch den Zwang des nationalen Willens geleitet und in ihren Blüten zur Freiheit in Gott gediehen, so harrte die Nation mit ihren zerstreuten Gliedern

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