in einem Gemeindeverband zu verbleiben, dessen oberste Norm der Wille der Nation nicht bildet, der vielmehr auch der antinationalen Reform Raum und Förderung gewährt. Weil nicht so sehr der Wille der Nation als vielmehr ihre subjektive Überzeugung in ihnen wirksam ist, sind sie tolerant. Der Wille aber kann nicht tolerant sein. Denn man kann nicht wollen und nichtwollen zugleich.
Ob es der deutsch-jüdischen Orthodoxie gelingen wird, den rückhaltlosen Anschluß an die Nation, ohne den sie auf die Dauer nicht bestehen kann, zu finden, muß die Zukunft lehren.
Die Mehrheit der deutschen Juden scheint für die Nation endgültig verloren. Ihre viertausendjährige geschichtliche Nationalvergangenheit liegt bereits unter der Schwelle ihres Bewußtseins. Eine solche Vergangenheit läßt sich natürlich nicht in einem einzigen Jahrhundert ü berwinden. Aber was in ihnen von dieser mächtigen Vergangenheit heute noch wirksam ist und in der Eigenart des Denkens und namentlich des Fühlens zum Ausdruck kommt, wird von ihnen als national längst nicht mehr empfunden. Selbst das in ihnen immer noch lebendige Bewußtsein der Judeneinheit, diese deutlichste Folge der verflossenen vier Jahrtausende, gleicht einem Licht, das von einem unendlich fernen Stern durch unermeßliche Räume zu einer Zeit zu uns gelangt, da der Stern schon lange, lange erloschen. —
Aus der geheimnisvollen Sphäre des Unbewußten ist der westjüdische Zionismus plötzlich herausgebrochen.
So flackert bei einem Sterbenden die Lebensenergie in letzter Stunde nochmals wild empor. „Ich will leben", ruft er aus und reckt sich trotzig auf. Aber die Hand greift ins Wesenlose und sinkt ermattet zurück.-
Der Zionismus ist der furchtbarste Feind, der je der jüdischen Nation erwachsen ist. Die antinationalistische Reform führt mit ihr einen offenen Kampf, aber der Zionismus tötet die Natron und erhebt die Leiche auf den Thron. Der nationale Wille des Judentums, der seit dem Sinaitage nicht aufgehört hat, das Gottesgesetz als nationales besetz zu wollen: der Zionismus erkennt ihn nicht an und fühlt sich durch ihn nicht gebunden. Die nationale Ge- schichte des Judentums, der das ruhmsüchtige und klassen-
89