Am Hochzeitstage liegt die gesamte Organisation — die übrigens vorzüglich klappt — in den Händen der beiden Brautführer. Sie sind wie bei unsern Prignitzer Dorfhochzeiten durch eine große weiße Schleife kenntlich. Die geladenen Gäste erhalten aus ihrer Hand ebenfalls eine kleine weiße Schleife, die an der rechten Brustseite befestigt wird. Der Bräutigam holt am Vormittag die Braut mit einem Fahrzeug aus ihrem Elternhaus ab. Dort sprechen die Eltern den Segen für das junge Paar. Gemeinsam wird ein Kirchenlied gesungen. Ein Frühstück folgt.
Mit Musik geht es mittags zur Kirche. Die Trauung erfolgt nach evangelischem Ritus, aber in polnisch-masurischer Sprache. Nach der Rückkehr aus der Kirche wird zunächst die Haustür verschlossen. Die Musik spielt, bis die Tür von den Eltern wieder geöffnet wird, die dem Brautpaar Brot und Salz überreichen. Dann lockt aber schließlich das Festessen, das sich in drei Mahlzeiten — Mittag, Abendessen, Frühkaffee — mit Unterbrechungen und immer mit reichlichen und scharfen Getränken bis zum Morgengrauen erstreckt. Das Abtanzen des Schleiers ist zeitlich nicht gebunden, erfolgt aber meistens auch erst im Morgengrauen. Dazu bildet die Jugend einen Kreis, während darin das Paar durch Tänze mit den Geschwistern und dann mit den anderen Jugendlichen sich von der Jugend verabschiedet. Danach verlassen die Brauleute den Saal und ziehen sich um. Sie erscheinen schließlich wieder in schwarzer Kleidung. Jetzt werden die beiderseitigen Eltern vom Paar um die Erlaubnis gebeten, den Schleier abnehmen zu dürfen. Bei dieser Zeremonie fließen die Tränen. Es ist der endgültige Abschied von Elternhaus und Jugend. Weitere Stunden beschwingter Feier folgen als Ausklang.
Gern und interessiert folgen die Retziner als stille Beobachter solcher Feier ihrer neuen Dorfgenossen. Es ist erfreulich, daß unsere Umsiedler an diesen schönen Sitten festgehalten haben. Leider sind aber einige schon unter dem Einfluß der hiesigen Sitten und Gebräuche verdrängt worden. So dauert hier die Hochzeitsfeier nur 24 Stunden im Hause der Braut an, während sie früher 3 bis 4 Tage währte. Die Feier begann im Hause der Braut und wurde beim Bräutigam fortgesetzt.
Auch jene Sitte, während der Fastenzeit vor Ostern, und während der Adventszeit nicht zu tanzen, ist hier inzwischen vergessen worden. Wie überhaupt zum Besuch eines Tanzvergnügens früher die jungen Burschen die Mädel zum Tanz gemeinsam abholten, so haben unsere Freunde sich hier schon den ortsüblichen Verhältnissen angepaßt.
Unser nationales Kulturerbe ist reich und mannigfaltig. Sorgen wir dafür, daß es erhalten bleibt zu unserer aller Freude!
KARL-ERICH GRAM
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