Neue Volksbräuche
IN RETZIN
Retzin ist ein kleines, ehemaliges Gutsdorf. Seine ganze Anlage ist dafür charakteristisch. Man möchte sagen, daß es aus zwei Hälften besteht: dem ehemaligen Gutshof mit seinen Stallungen, dem Wirtschaftsgebäude, dem Schloß und dem Wohngebäude, sowie dem eigentlichen Dorf, das — aus wenigen Bauernhöfen bestehend — sich als Runddorf im Halbkreis rechts der Chaussee Perleberg—Pritzwalk erstreckt. Jahrhundertelang stand diese Ortschaft im Zeichen des Gutslebens der Familie zu Putlitz. Die Menschen kannten auch nichts anderes, für sie stand die Arbeit für den Gutsbesitzer im Mittelpunkt ihres bescheidenen Lebens.
Doch dann bekam das Dorf eines Tages ein ganz anderes Gesicht. Der Krieg war über das Land hinweggegangen. Mit ihm kamen neue Menschen ins Dorf. Die Kleidung der Frauen, die bärtigen Männer, die fremde Sprache: alles war neu für Retzin. Diese Menschen hatten fern im Osten, in der Gegen von Brest-Litowsk, ihre alte Heimat durch die Politik des faschistischen Regimes aufgeben müssen, in die vor reichlich 200 Jahren ihre deutschen Vorfahren ausgewandert waren. In Retzin sollten sie nun wieder eine neue Heimat finden. Durch die Bodenreform erhielten sie Land und Wohnung, so daß sie schnell heimisch werden konnten. Mit ihnen aber waren auch für diese Gegend völlig neue Sitten in das Dorf gekommen. Derjenige, der mit Liebe und Achtung altem Volksbrauch gegenübersteht, fand oftmals Gelegenheit, dieses neue zu beobachten und in sich aufzunehmen.
Eine der interessantesten Gelegenheiten, etwas vom Brauchtum dieser Menschen kennen zu lernen, ist ihre Hochzeitsfeier. Wieviel fleißige Hände schaffen, um ihre Hochzeit feierlich und geschmackvoll auszugestalten. Die üblichen Vorbereitungen erreichen ihren Höhepunkt am Vorabend des Hochzeitstages. Die Jugendlichen finden sich im Festhaus ein, um die Girlanden zu wickeln. Dafür belohnt sie anschließend eine Kaffeetafel. Die bei uns sonst übliche Feier am Polterabend kennen sie nicht. Auch Geschenke werden noch nicht überreicht.
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