■Wallartige Erhebungen aufbauen? Des Rätsels Lösung ist diese. Die Schmelzwässer bilden sich nicht erst am Eisrand, sondern schon in größerem Abstand von ihm sowohl auf wie unter dem Eise. Sie fließen auf seinem Rücken, besonders in den vorhandenen Eisspalten, und unter seinem Bauche in tunnelartigen Untereisrinnen dem Rande zu und füllen in beiden Fällen ihr Fließbett mit dem ausgeschlämmten Gesteinsschutt. (Von Bildern heutiger Gletscher sind diese Risse im Eise und die Gletschertore als Ausmündungen der Untereisströme ja allgemein bekannt.) Schmilzt nun das Eis fort, so bleiben diese geschichteten Ablagerungen als langgestreckte Erhöhungen zurück. Was ursprünglich die Tiefe einer Eisrinne ausfüllte, das liegt heute in der vom Eise befreiten Landschaft als Höhenzug vor unseren Augen. In der wissenschaftlichen Fachsprache heißt ein solches Gebilde der Eiszeit ein Os. Das ist keine Wortverstümmelung nach gewohntem schlechten Vorbild, sondern ein anständiges Wort aus dem Schwedischen, das etwa mit: Wallberg zu übersetzen ist. Da die Eisspalten sich meist in der Fließrichtung des Eises bilden, liegen die Oser auch in dieser Richtung, die in unserem Gebiet eine nordost-südwestliche gewesen ist.
Aber damit war der Werdegang unserer Weinberge noch nicht abgeschlossen. Zwar hatte das Eis vor rund 20 000 Jahren begonnen, sich in der Richtung zurückzuziehen, aus der es gekommen war, aber seine Schmelzwässer strömten noch Jahrhunderte hindurch aus nordöstlicher Richtung ab, umflossen den Os und gestalteten ihn um. Um zu verstehen, was sich dabei abspielte, was das fließende Wasser abspülte, begeben wir uns für einen Augenblick in das Gebiet der Physik. Wir machen folgenden Versuch. In einer Wasserströmung, in Abb. 2a gestrichelt gezeichnet, befestigen wir in der Strömungsrichtung einen walzenförmigen Körper, der in Wasser nur langsam löslich ist, etwa ein Stück Steinsalz oder Zuckerkand. Die Strömung greift den Körper an und formt ihn um. Das geschieht, wie der Versuch zeigt, nun nicht so, daß er dabei gleichmäßig schmaler und kürzer wird, sondern so, daß ein spindel- oder tropfenförmiges Gebilde entsteht. Dieser sogenannte Stromlinienkörper hat die Eigenschaft, daß er der Strömung den geringsten Widerstand bietet. (Umgekehrt erfährt ein solcher Stromlinienkörper seinerseits den geringsten Widerstand, wenn er im Wasser bewegt wird. In der Entwicklungsgeschichte der Tiere, die sich im Wasser oder in der Luft bewegen, hat sich dieses Gesetz der Krafteinsparung durchgesetzt: die Körper der Vögel ebenso wie die der Fische und Robben haben Stromlinienform. Und der Mensch hat sie ihnen abgesehen und baut seine Unterwasserfahrzeuge, seine Luftschiffe, Flugzeuge, Rennwagen, Bomben und Raketen in dieser Form.) — Wir -ändern unseren
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