Heft 
(1955) 3
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hunderten hier hinauf gequält, um mit voller Ladung wieder der wach­senden Stadt zuzustreben. So haben sich die riesigen Kieskuhlen tief in den Leib des Berges hineingefressen, und die Küchenschellchen, die sich hier auf dieser Kuppe in einer anderen Varietät und scharf getrennt von ihren Schwestern auf dem Galgenberg angesiedelt haben, lassen darüber traurig die Köpfchen hängen. Sie wagen in ihrer Betrübnis noch nicht, die Kelche zu öffnen.

Wir verlassen den Gipfel und steigen am Steilhang ab, in die Schlucht hinein, die nach dem Abbau der in der Eiszeit hier aufgetürmten Kies­massen zurückblieb. Jenseits gehts wieder mühselig die Steilwand empor. In den Tagen unserer Väter ist eine solche Kammwanderung wohl leichter gewesen. Es war nur ein sanftes Auf und Ab in der Folge der einzelnen Kuppen. Aber jetzt ist es die richtige Kraxelei. Manche Wände wären, wenn man sie wirklich nehmen wollte, tatsächlich nur mit dem Seil zu über­winden. Tiefe Wunden sind hineingerissen und haben das Bergmassiv zer­klüftet. Es geht hinauf und hinunter. Während wir uns gerade einen Hang hinaufquälen, bimmelt unten durch die Föhren das Bähnlein vorbei. Es kommt uns vor, als wenns der Simplon-Expreß wäre.

Der nächste Gipfel ist erklommen. Vor einem Jahrzehnt noch war hier derTouristen-Mittelpunkt und die am meisten besuchte Stelle unserer Weinberge. Denn hier oben stand unser Bergrestaurant. Hier saßen wir auf der Bergterrasse oder, wenn der Wind zu kalt wehte, hinter den schützen­den Glasscheiben der behaglich gewärmten Gaststube. Hier ging beim Sonntagsnachmittagskaffee der Blick hinweg über die dunklen Kiefern­wälder da unten, hier freute man sich an den begeisterten jungen Men­schen, die, vom gespannten starken Gummiseil in die Luft geschleudert, mit ihrem Gleiter davonsegelten. Aus reiner Sportfreude hatten sie das alles nach dem ersten Weltkriege geschaffen, und dann wurde es vernichtet durch den zweiten, noch verherenderen, in den auch das alles mit hineinge­zogen wurde. Heute erinnern hier nur noch zerbrochene Grundmauern an die Perleberger Ausflugsstätte, an die glückliche Zeit friedlichen Schaffens. Der einst gepflanzte Birkenkranz grünt zwar wieder maifrisch, die Ruinen der ehemaligen Halle und des Restaurants aber werden allmählich von den sich ausbreitenden Anflugkiefern überwuchert.

Der Weg führt uns weiter zum Nordwesthang. In ganzer Breite liegt er ohne Waldbestand unter uns. Nur ein Teppich aus Heidekraut deckt ihn. Wir wissen, daß die Alpen eine Vegetationsscheide sind: auf der Südseite gibt es eine andere Flora als an den Nordhängen. Also gehört sich so etwas auch für unsere heimischen Alpen. Und tatsächlich, es ist auch hier so. Während vor uns der Hang dicht und üppig mit Heidekraut bewachsen ist,

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