Heft 
(1955) 7
Seite
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Einbruchstelle. Hier liegen auf der Höhe des Halbrunds die beiden Dörfer Rambow und Mellen und gerade gegenüber das stattliche Boberow. Hier liegen auch die gewaltigen Steine des vorgeschichtlichen Sippengrabes, das die damaligen keltischen Bewohner unseres heimatlichen Bodens in der jüngeren Steinzeit errichteten, und um das auch heute noch die so tragisch ausgegangene Geschichte von der schönen Roswitha und ihren beiden Bewerbern geistert. Hier springt auf halber Höhe aus der Steilwand unterhalb Mellens der Quell, der den Teich am Abhang füllt und der einst das Mühlrad trieb, das sich noch vor einem Jahrzehnt in seinem ganzen romantischen Zauber zeigte, besonders in der schönen Frühlingszeit, wenn es sich unter dem großen blühenden Holunderbusch drehte und das Wasser plätschernd und glitzernd über die Schaufeln sprang. Und hier ragt hoch über die Senke hinweg und über den See mit dem allmählich immer mehr verlandendem Wasserspiegel der mit seiner ihn umrankenden Sage weit im Prignitzer Land bekannte stumpfe Turm von Boberow.

Ursprünglich war er gar kein stumpfer Turm. Da war er fast noch mal so hoch, denn eine schlanke Spitze krönte ihn und damit das wuchtige feld­steinerne Bauwerk der festen gotischen Dorfkirche. Der Turm von Boberow war infolge seiner Höhe das Wahrzeichen der Gegend schlechthin. Und weil er gar so hoch über den See und die Landschaft hinragte, waren die Boberower sehr stolz auf ihn. Nicht aber nur weit in den Himmel sollte er ragen und weit in das Land hinein den Reichtum der Boberower sichtbar verkünden, auch seine Stimme sollte er weit forttragen, weiter als die Glocken anderer Türme es vermochten, hin zu den Dörfern jenseits der Senke über den See und hin zu den Menschen weit ringsum im Land. Darum beschlossen die Boberower, eine Glocke für ihren Turm gießen zu lassen, die alle anderen im Prignitzland weit in den Schatten stellen sollte. Und so reisten denn eines Tages der Geistliche und ein paar der Bauern des reichen Dorfes in die alte Domstadt Havelberg, um dort bei dem weit­berühmten Glockengießer eine solche Glocke in Auftrag zu geben. Eine Glocke, die in Größe und Stimmgewalt in der Prignitz nicht ihresgleichen haben sollte.

Der Meister in Havelberg war sich der Ehre solchen Auftrages wohl bewußt und auch der Verpflichtung seines Rufes. Darum wollte er aus seiner oft bewährten Kunst den Boberowern dieses gewünschte Meister­stück gern schaffen. Nicht nur die Boberower sollten stolz darauf sein, sondern er selbst wollte mit diesem neuesten Werk seines Könnens seinem Ruhm weiteren Klang verleihen. In der geräumigen Werkstatt ging er darum bald und mit Eifer an die Arbeit. In tagelangem Mühen und mit aller Liebe und Sorgfalt schuf er das Modell, und danach fertigte er dann in der tiefen Grube die Form, die die flüssige Glockenspeise im Guß auf­nehmen sollte. Er wog und wählte nach altem Rezept das kostbare Metall und die Zutaten, daß es einen reinen und vollen Ton gäbe. Als nach Tagen

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