Heft 
(1955) 7
Seite
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werk, eben in seinemLied von der Glocke, als den schrecklichsten der Schrecken bezeichnet: Der Mensch in seinem Wahn! Der aus diesem Menschenwahn geborene Weltkrieg in seiner doppelten Folge äscherte Städte und Länder ein. Er holte sich auch die Boberower Glocken vom Turm. Sie mußten in den Krieg ziehen! Sie konnten fortan den Menschen nicht mehr Freude und Friede künden, sondern sie mußten mithelfen, ihnen Tod und Verderben zu bringen. Sie gingen dabei selbst zugrunde. Men­schenhand vernichtet immer das eigene Werk, wenn sie von Gier und Haß geleitet wird.

Unser Glöckchen aber erhielt wohl jetzt den Lohn, daß es damals nicht aus Vermessenheit und Prahlsucht, sondern aus bescheideneren Wünschen geboren wurde: es durfte zu Hause bleiben! Vielleicht durfte es das auch nur deshalb, weil es zu wenigMasse hatte. Und vielleicht respektierte man auch das ehrwürdige Alter und den mittelalterlichen Kunstwert.

So ist unser Glöcklein von 1500 heute noch erhalten. Es hing nach dem Zusammenbruch von 1945 ganz verlassen da oben auf dem stumpfen Turm von Boberow. Dann bekam es 1953 wieder Gesellschaft. Drei neue schwere Glocken zogen zu ihm hinauf auf den Turm. Das alte Glöcklein aber kam nun in den wohlverdienten Ruhestand. Die Boberower nahmen es heraus aus dem tragenden Glockenstuhl und gaben ihm einen ehrenvollen Altenteils­platz. Nicht irgendwo versteckt in einem Winkel, wo nicht Sonne noch Mond hinscheint, nein, in dem der Straße zugekehrten Schalloch, unmittel­bar neben dem Zifferblatt der Turmuhr! So kann es denn von den Bobe- rowern täglich mit einem Blick nach oben als der Zeuge vergangener Jahrhunderte gegrüßt werden, und so kann es selbst hinunterschauen auf das Dorf und die Gräber zu seinen Füßen.

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In einem Aufsatz, den vor dem letzten Weltkriege der Lehrer von Boberow über den Turm seines Dorfes schrieb, stehen am Schluß die Worte:

Wenn vom stumpfen Turm die Abendglocken über den blanken See klingen, dann hört der Wanderer aus ihrem Singen das stille Raunen der Sage vom jähzornigen Havelberger Glockengießer und seinem unglücklichen Lehrjungen.

Die Stimmen dieser Glocken klingen nicht mehr, und auch den Lehrer des Dorfes hat der letzte Krieg verschlungen. Die neuen Glocken, die im Ge­stühl hängen, sind schlicht, auch entbehren sie der feinen sinn- und liebe­vollen Kunst des mittelalterlichen Schmückens. Ihr Leib ist nicht mehr aus dem wertvolleren Metall der Bronze, sondern aus Stahl, aus hartem, kaltem Stahl. Doch auch Stahl kann gut klingen. Und auch Stahl darf in erster Linie friedlichem Werk dienen. Pflugschar und Zahnrad beweisen es täglich. So möge auch für die neuen Boberowfer Glocken Schillers Mahn­wort gelten:

Friede sei ihr erst Geläute!

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