Heft 
(1955) 7
Seite
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Lange und zähe haben die Boberower sich bemüht, ihr Beginnen durch­zusetzen. Endlich gaben sie es auf. Die Mächte des Himmels waren stärker als sie. Die Boberower wurden in neuen Generationen besinnlicher und bescheidener und legten das laute Prahlen beiseite. Sie fügten sich dem Willen der Naturkräfte und walmten ihren Turm schlicht zu, auf die stolze krönende Spitze verzichtend. Sie gaben dem Turm die Form, wie sie uns heute noch erhalten ist. Und auch ihre stolzen Pläne auf die größte Glocke der Heimat hatten sie längst zu Grabe getragen. Sie bestellten um 1500 eine ganz kleine Glocke, also just in der Zeit, da das neue Jahrhundert begann, welches als Zeitenwende trotz Inquisition und Scheiterhaufen der Freiheit des menschlichen Geistes, des Forschens und Gottsuchens zum Durchbruch verhalf, welches zeigte, daß letzten Endes nicht die äußere Macht entscheidend ist, sondern immer der Geist und die Wahrheit, und welches auch lehrte, daß die Aufgabe der Religion sich nicht im Gepränge dokumentieren darf, sondern allein in der dienenden Liebe. So war denn die neue Boberower Stimme eine ganz bescheidene, und auf den Turm kam eine Glocke, die zwar auch aus edler Bronze war, doch in ihrem unteren Durchmesser nur 35 cm hielt. Sie trug zwei schlichte, aber sehr feine Zier­kränze oben am Glockenhals, und zwischen beiden lief, aus derzeit des damals noch bei uns lebendigen katholischen Glaubens geboren, in plastischen Buchstaben die Umschrift:ANNO DOMINI MCCCCC help uns maiia. Vielleicht hat diese Glocke der um diese Zeit hochberühmte Perleberger Glockengießer Hinrich van Kämpen gefertigt. Der hatte den Hamburgern für 400 Gulden die große Apostelglocke geschaffen und ein Jahr darauf das wundervolle Geläut der Perleberger St. Jacobi-Kirche. In diesem war die prächtig verzierte Marien-Glocke mit ihren 90 Zentnern die schwerste und tonangebende. Fast bis in unsere Zeit war dieses Geläut der Stolz der Perleberger, bis es 1916 beim großen Turmbrand, noch einmal bewegt und aufklingend von dem hinaufjagenden Feuerwind, auch zerschmelzend in die Tiefe stürzte.

In Boberow aber schienen nunmehr die in der Sage lebendig gemachten Kräfte der Natur versöhnt zu sein. Fortan rührte der Blitz weder den Turm noch das in ihm hängende Glöcklein an. Dieses Glöcklein von 3 500 hat dann auch bald einige größere Schwestern bekommen, die in ihrem Zusammenklang durch Jahrhunderte die Boberower erfreuten. Das erste Glöcklein von 1500 hat 400 Jahre lang sein Stimmlein erschallen und freudig über den See hinklingen lassen dürfen. Es läutete alsBetglocke den Boberowern durch viele, viele Generationen den munteren, hellen Morgengruß, und es kündete ihnen nach des Tages Last und Mühen den Feierabend.

Doch dann kam wieder eine böse Macht, die Vernichtung und Untergang brachte, eine Macht, die viel verheerender sein kann, als die entfesselten Kräfte der Natur. Eine Macht, die Schiller in seinem wohl schönsten Dicht-

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