Issue 
(1955) 8
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ALBERT HOPPE

Stapfte Tiedef*

Wer zu Land und Leuten kommt, erlebt und erfährt manches. Wenn man nach einem heimatlichen Vortragsabend im Dorfkrug noch ein Weilchen zusammensitzt, kommt im Gespräch noch dieses und jenes aus längst vergangenen Zeiten zum Vorschein. So wars auch in Sadenbeck. An unserm runden Tisch in der behaglichen Ecke waren wir fast ein Dutzend Leute, alte und junge. Der hochbetagte Altbauer erzählte von dem Saden- becker Jungen, der an einem Sonntagmorgen, während seine Eltern in der Kirche waren, davonging, sich nach Holland durchschlug, dort auf einem Schiff anheuerte, als Soldat alle Weltmeere durchsegelte und schließlich, als er eine Hand verloren hatte, in Südafrika vor Anker ging. Er ehelichte dort ein Farmermädel und schenkte aus der zahlreichen Kin­derschar dieser Ehe dem Burenvolk den Mann, der als hartschädliger, freiheitsliebender prignitzer Bauernsproß es wagte, dem englischen Welt­reiche Trotz zu bieten.

Es war Paul Krüger, der im Freiheitskampf der Buren ihr Führer und Präsident war und alsOhm Krüger in die Weltgeschichte einging. Der alte Krügersche Hof ist noch heute in Sadenbeck.

Auch von dem Bauernsohn Pirow aus dem benachbarten Alt-Krüssow, der ebenfalls in der Südafrikanischen Union lebte, dort am Bau der ersten Eisenbahnen beteiligt war und schließlich das Amt eines Ministers be­kleidete, wußte unser Erzähler, zum Teil noch aus eigenen persönlichen Bekanntschaften mit den Verwandten Pirows, manches zu berichten.

In unserer Runde saß ein altes Mütterchen. Sie hatte weißes Haar und ein Gesicht voller Runzeln und Falten. Aber sie hatte auch zwei muntere Augen, und ich sah ihr an, daß sie etwas auf dem Herzen hatte. Ich sprach sie an, und sie begann zu erzählen. Mit hartem östlichen Akzent. Vor zweihundert Jahren seien ihre Vorfahren durch Katharina II. nach Ruß­land gekommen. Sie sei dort in einer deutschen Siedlung geboren und groß geworden. Als sie vorhin im Vortrage das Lichtbild von der Havel­berger Werft sah und dabei hörte, daß dort einst der russische Zar Peter I. die Schiffsbaukunst studiert und dabei mit eigener Hand eine Gallions- flgur geschnitzt habe, sei ihr ganz plötzlich eine im Gedächtnis bisher wohl schlummernde Geschichte aus ihrem alten deutschen Lesebuche, das sie neben dem russischen auch im Unterricht hatten, in der Erinnerung wieder lebendig geworden. Diese Geschichte möchte sie uns jetzt gern erzählen. Wir rückten enger zusammen, und das Mütterchen berichtete aus ihrer längst vergangenen Schulzeit das Ereignis von denKnappen Tieden. Ich will versuchen, es nachzuerzählen.

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