Der Zar Peter I., den die Geschichte den „Großen“ nennt, ist in der Welt viel gereist, um dies und das für sein Vaterland zu lernen. Dabei kam er auch nach Deutschland, um die Schiffsbaukunst zu studieren. Er konnte die deutsche Sprache gut verstehen, aber er war nun in eine Gegend gekommen, wo man fast nur plattdeutsch sprach. Da gab es in der Verständigung oft Schwierigkeiten und Mißdeutungen. Eines Vormittags bat ihn der Havelberger Bürgermeister bei einer Besprechung, ihm doch die Ehre anzutun und bei Tisch sein Gast zu sein. Der Zar sagte gern zu. Die Frau Bürgermeisterin war wenig erbaut, als ihr Mann gelaufen kam und sagte, daß der Kaiser von Rußland heute zum Mittagessen mitkäme! Er wisse doch, meinte sie, daß kein Fleisch im Hause sei. Was solle sie denn da auf den Tisch bringen!? Sie werde es schon machen, erwiderte der Herr Bürgermeister, sie sei ja in der Küche und auch sonst eine echte Zauberin, und damit eilte er geschäftig wieder zu seinen Amtsobliegenheiten.
Ja, da stand nun die arme Stadtmutter. Man muß wissen, daß es damals ein Jahrhundert gedauert hat, ehe nach 1648 alle Schäden und Verheerungen des 30jährigen Krieges überwunden waren, und daß, als diese Geschichte spielte, die allgemeine Armut im Lande noch recht groß war. Wochentags war man glücklich, Grütze und Graubrot zu haben, und ein Braten zierte nur festtags oder dann und wann mal sonntags den Tisch. Nun ist aber die Schiffbauerstadt ein rechter Wasserort. Fast jeder Bürger hat seinen Kahn und seinen Fischkasten. So eilte denn die Frau Bürgermeisterin spornstreichs zum Nachbarn, und siehe da, er langte mit dem Kescher hinein in den Fischkasten und holte eine gewichtige Portion Fische heraus. Es waren aber, nur Aländer. Andere Fische waren in diesen Tagen kaum gefangen worden.
Nun muß man wieder wissen, daß der Aländer nicht gerade ein Leckerbissen ist. Er gehört zur Gruppe der gemeinen Stinte und reist, wie der Lachs, zu dem er familienmäßig zu rechnen ist, zur Laichzeit im Spätfrühling in großen Scharen aus seinen Haffs und den Flußmündungen, wo er zu Hause ist, weit flußaufwärts, so daß man ihn dann, ähnlich wie den Hering, in Massen fangei) kann. Seines an sich nicht guten Geschmackes wegen verwendet man ihn dabei oft sogar nur zur Tran- und Düngergewinnung.
Von diesem also nicht gerade als Delikatesse zu bezeichnenden Fisch hatte nun unsere Frau Bürgermeister den Korb voll. Und daraus sollte sie für den „Kaiser und Selbstherrscher aller Reußen“ ein Gericht machen! Aber in knappen Zeiten werden sonst gering geachtete Dinge zu Kostbarkeiten, und selbst ein Kaiser muß vorliebnehmen, wenn nichts anderes da ist. So ging die Frau Bürgermeister resolut an die Arbeit. Sie entfernte Köpfe, Flossen und Eingeweide, säuberte alles sorgfältigst und legte die Fische in Essig. Die Hausfrau tut das sonst aus Gründen des Geschmackes nicht gern, aber hier war es angebracht. Dann eilte sie in den Garten, um von
234