Kompliment. Darüber errötete sie sehr, und ihre Hände strichen verlegen über den Schoß. Doch dann wollte der Zar wissen, was er denn eigentlich gegessen habe! Da war nun die gute Bürgermeistern doch ganz und gar aus der Reihe und vollkommen in Bedrängnis. Sollte sie ihm sagen, daß sie dem hohen Gaste den allergewöhnlichsten Fisch vorgesetzt habe? So stotterte sie etwas und, ganz durcheinander, brachte sie schließlich nur, in ihrer Befangenheit das alltägliche, gewöhnte Platt gebrauchend, den entschuldigenden Satz hervor: „Nehmen S’ verleew, Herr Kaiser, sinn knappe Tieden!“ — „So, so“, meinte • Majestät, „Knappetiden! Knappetiden!“, und er fügte hinzu: „Ein wundervolles Gericht, ein ganz köstliches Gericht, diese Knappetiden!“
Als sich der Zar schließlich von seinen Gastgebern verabschiedete, geschah es mit herzlichen Worten und vor allem mit nochmaligem Dank für die Knappetiden, die ihm so hervorragend gemundet hatten. Und als er dann anderntags dem Städtchen Lebewohl sagen mußte und der Bürgermeister ihm bis zur Stadtgemarkung das Ehrengeleit gab, verfehlte er auch hier nicht, in seinen Abschiedsworten nochmals des ihm so gut in Erinnerung gebliebenen Gerichts zu gedenken: „Grüße Er mir nur auch seine Hausfrau schön und sage Er ihr, wenn ich wieder einmal hierher komme, soll sie mir wieder Knappetiden kochen!“
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Das also war die Geschichte, die uns das alte deutsche Muttel aus dem fernen Rußland mitgebracht hatte. Uns allen am runden Tisch hat sie viel Freude gemacht, und ich hoffe, daß sie nunmehr in dieser Nacherzählung auch manchem Leser ein freundliches Schmunzeln abnötigt.
Darüber hinaus aber darf sie uns wohl ein wenig nachdenklich machen. „Knappe Tieden“, sind sonst unerwünscht und eine Quelle der Sorgen und des Ärgers. Hier hatte sich nun wohl erstmalig ein Mensch über „knappe Tieden“ von Herzen gefreut. Und dazu war es noch der Zar von Rußland. Er hat dabei gezeigt, daß es auch dem Bauch des Hoch- gestellten nichts schadet, wenn er das ißt, was sonst nur für den „gemeinen“ Mann bestimmt ist, ja, daß es wohl recht gut für die Menschheit wäre, wenn der Hochgestellte das des öfteren tun müßte! — Weiter lehrt uns diese Geschichte, daß auch „knappe Tieden“ ihren Wert und ihren tieferen Sinn haben, wenn sie nur mit rechtem Verstehen getragen und mit rechter Liebe gewürzt werden.
Letztlich aber und nicht zum wenigsten strahlt aus dieser Geschichte ein stiller Glanz auf unser heimatliches Platt und läßt uns fühlen, daß es doch seinen eigenen Zauber hat und seine eigene anheimelnde Wirkung. Die Mundart ist ein kostbares Stück heimatlichen Schatzes, und sie ist wohl der Erhaltung wert. Selbst der größte deutsche Dichter hat dies gefühlt. Johann Wolfgang Goethe sagt: „Jede Provinz liebt ihren Dialekt, denn er ist doch eigentlich das Element, in welchem die Seele ihren Atem schöpft.“
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