Heft 
(1957) 4
Seite
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Nistgebiet, dann wollen wir alle Hände über sie halten bis zur herbst­lichen Abreise,

Wenn der Rogge riep is, wenn de Pogge piep (groß) is, wenn de geelen Appeln in de Tonne dröppeln, wenn de Luft ist kühl un scheen, will ick Odeboar wegteen!

Ja, welchem Tiere wäre solche Ehre widerfahren, im Glauben unserer Vorväter zum Kinderbringer zu werden, der als Frau Holles heiliger Vogel die kleinen Menschlein aus dem stillen Weiher holt, in dem die Holde zu baden liebt und dabei die Kinderchen segnet? Der sich im Teich spiegelnde Himmel mag den inneren Zusammenhang schaffen zwischen dieser Mythe und ihrem christlichen Weiterdenken, in jedem Falle holt Adebar die Kleinen aus der geheimnisvollen Welt des Übersinnlichen, und wenn wir auch zum Nutzen einer vernünftigen, sauberenAufklärung Freund Ade­bar inzwischen beurlauben mußten aus dieser jahrhundertealten Funktion, so zeigt doch dem besinnlichen Menschen solche Ehrung, wie hoch der Storch im Ansehen unserer Vorfahren gestanden hat. Er sieht und hört alles, was sich in dem von ihm bewohnten Anwesen ereignet und warnt wohl sogar seine Menschenfreunde vor Feuer und Unfrieden durch auf­geregtes Klappern oder indem er seine Kinder huckepack nimmt und an ungefährdete Stellen trägt, wie dies die Sagen anderer Völker behaupten! Er wird gleicherweise zum getreuen Eckart junger Eheleute wie zum Schützer ihrer Kinder, und wo er nistet, soll der Blitz nicht einschlagen.

Eigentümlich ist der Volksglaube, daß die alten Störche nach dem Herbst­zuge im fremden Lande sich in Menschen verwandeln, und die Araber behaupten wohl noch heute, daß ihr Gott Allah einst einen sündigen Heiligen in einen Storch verwandelt habe, weil sein würdiges Wesen und seine Vorliebe für Kirchendächer offenbar solche Legenden entstehen ließen. Selbst um das Rad, das der Storch so gern als Nestgrundlage be­nützt, rankt sich der Volksglaube in der Weise, daß man in ihm das Abbild der Sonne sehen will, und wahrlich, so ein gegen die Sonnenstrahlen auf seinem Neste stehender Adebar gewährt doch unserem Auge ein wunder­volles Bild, das seiner Würde und seinem Ansehen im Volke recht zugute kommt! FreundBarthelt, wie er imReineke Voß genannt wird, wäh­rend ihn Georg Rollenhagen imFroschmäusler denLeisetritt tauft, lebt in Einehe und gilt als guter Familienvater, zahllos sind die Dich­tungen, in denen das tragische Geschick brütender Störche, die keinesfalls das brennende Dach verlassen wollen, geschildert wird; in anderen volks­tümlichen Überlieferungen wird berichtet, daß die Störche ihre hilflosen Jungen aus dem Brand davontragen auf dem Rücken, und ganz liebens­würdig klingt die oft begegnende Erzählung, daß zur Zeit des Vogelzuges die Störche kleinere Vögel, die vom Flug ermüdet sind, auf ihren Rücken

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