Der Welfenschatz.
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sprechen müssen; aber unterdrücken können wir doch nicht das schmerzliche Gefühl, daß ein solcher mit dem Kunstleben der deutschen Vorzeit so eng verwachsener Schatz herausgerückt ist aus dem Bereiche des Schutzes, den nur der öffentliche Charakter des Besitzes, sei er staatlich oder kirchlich, unter gesetzlichen Vorschriften gewährt. Jeder Privatbesitz, auch der einer fürstlichen Familie, ist den Gefahren der Verschleppung und Versplitterung ausgesetzt.
Die jetzt abgeschlossene Publication des Schatzes unter dem sreigewählten Titel „Der Reliquienschatz des Hauses Braunschweig-Lüneburg" bürgt für die Gesinnung des jetzigen Besitzers, den Schatz als festes Hausgut und als ein Untheilbares anzusehen; aber schon eine Verlegung des Wohnsitzes, etwa nach England, würde genügen, den Schatz für Deutschland unzugänglich zu machen.
Es ist wohl natürlich, daß unter solchen Umständen immer wieder der Wunsch rege wird, daß doch eine Form gefunden werden möchte, welche diesen Schatz in festerer Weise an Deutschland bindet. Die gegenwärtige politische Konstellation bietet hierzu wohl nur geringe Aussicht, aber die Hoffnung bleibt doch nicht ausgeschlossen, daß ein friedliches Abkommen die nun einmal historisch gewordene Umwälzung der deutschen Regierungsverhältnisse besiegelt; grade in letzter Zeit war mehrfach — wir wissen nicht, ob mit Grund — die Rede von der Regelung des Welsensonds. Möchten doch unsere Staatsmänner bei einem solchen Abkommen auch des Braunschweiger Kirchenschatzes gedenken! Vielleicht macht das Gefühl der Pietät, welches aus dieser Publication spricht, den fürstlichen Besitzer auch dem Gedanken zugänglich, den Schatz in festen Staatsbesitz Deutschlands übergehen zu lassen. Muß doch selbst der Herausgeber bekennen, daß für viele einschlägige Fragen nicht einmal bei der litte- rarischen Bearbeitung die Entfernung von Niedersachsen und seinem Quellenmaterial zu überwinden war; für ein wirkliches fruchtbringendes Studium gehört der Schatz nach Niederdeutschland, für dessen Kunst- und Kulturgeschichte er einen der wenigen unverrückbaren Ecksteine bildet.
Julius Lessing.