Issue 
(1891) 66
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Deutsche Rundschau.

SchauspielDas verlorene Paradies" mit seinen früheren StückenUnter Vier- Augen" undDie wilde Jagd" gemeinsam: die Sehnsucht nach der Lebensfreude und

der Gemüthlichkeit der früheren Zeit- DiesParadies" ist den reichen Leuten wie

den Arbeitern verloren gegangen. Der lustige Narr des Stückes, ein Schriftsteller vr. Walter Heideck, der die Handlung epigrammatisch begleitet, hofft es in der Geburts­stadt seiner Frau, in Rudolstadt, wiederzufinden, aber er schaudert im nächsten Augenblick davor zurück er würde in der Stille und Langweiligkeit der kleinen Stadt vor Sehn­sucht nach dem rauschenden Gesellschaftsleben Berlins vergehen. Die eigentliche Fabel des Stückes bringt indessen diesen Gedanken nicht zur allfeitigen Erscheinung. Herrenhaus und Fabrik sind einander gegenübergestellt und gleich im Beginn des Schauspiels als feindliche Mächte. Gerade am Geburtstag seiner einzigen Tochter erführt der Fa­brikant Bernardi, daß seine Arbeiter mit einem Strike drohen. Der Techniker der

Fabrik, Hans Arndt, der in der letzten Zeit auch ihre geschäftliche Leitung geführt hat, räth zur Nachgiebigkeit und Bewilligung der höheren Lohnforderung. Aber Ber­nardi hat so große Ausgaben; die Erziehung EditPs, das kostspieligste Leben, Reifen und Feste verschlingen feine Einnahmen; wie könnte er den Lohn seiner Arbeiter auf Kosten seines Wohllebens steigern! Heute gar, wo er seine Tochter mit einem früheren schneidigen Officier Richard von Ottendorf verlobt. Richard ist der Sohn eines be­rühmten Vaters; er hat die nationalökonomischen Schriften und die chemischen Er­findungen seines Vaters freilich nicht studirt, aber er genießt den Ruf des Verstorbenen und gilt, da er eine Zeit lang in einem Londoner Handelshause gearbeitet hat, für eine bedeutende Kraft. Diese Kraft und sein Name sind Alles, was er in die Ehe mitbringt, das Geld dazu soll der Schwiegervater geben. Bernardi erschrickt zuerst über Ottendorffs Forderungen; aber dieser weist seine Zögerung mit den Worten zurück: soll es Ihre Tochter in meinem Haufe schlechter haben, als sie es in dem Ihrigen hatte? Wie könnte Bernardi einer solchen Mahnung widerstehen! Er hat nur für sein Kind gearbeitet; um sie glücklich zu machen, können auch seine Arbeiter einmal hungern. Edith ist ein überkluges Mädchen; ihre Bildung hat sie um ihre Naivetät, ihr Verstand um ihr Herz gebracht. In der Hoffnung, eine Rolle in der vornehmen Welt zu spielen, nimmt sie Ottendorf's Werbung an. Weder ihre Sinne noch ihr Gemüth sprechen lebhafter mit. Hans Arndt, der mit der Wahrheit nicht hinter dem Berge hält, deutet leise, als er ihr Glück zu ihrer Verlobung wünscht, auf ihre Herzenskälte hin: sie lebt von der Arbeit Anderer und hat sich noch nie um diese Anderen bekümmert. Dieser Vorwurf führt Edith im zweiten Acte mit ihrem Verlobten, der sich schon als Theilnehmer des Geschäftes betrachtet, in die Fabrik. Hier ist Alles in dumpfer Gährung; nur mühsam verhindert Hans Arndt durch seine Ruhe und Festigkeit einen Ausbruch. Verschiedene Typen aus dem Arbeiterstande werden uns vorgeführt: der socialdemokratische Wortführer, der fleißige stille Arbeiter, den die Noth und das Elend der Seinen in dem Hinblick auf das Glück und die Be­haglichkeit der Reichen zur Feindschaft gegen sie treibt. Die hochmüthige Weife, mit der Ottendorf die Leute behandelt und die Vorstellung Arndt's abweist, einen mil­deren Ton anzuschlagen, gießt Oel in das Feuer; Bernardi kommt zu spät, um die Aufgeregten zu beruhigen, der Strike wird beschlossen. Es war nicht leicht, einem so bewegten, kunstvoll sich steigernden zweiten Act einen dritten gleichwerthigen folgen zu lassen. Aber Fulda ist doch gar zu weit hinter der Aufgabe zurückgeblieben. Er steckt zu tief in den Auseinandersetzungen, die zu einem Bruch zwischen Edith und Ottendorf, zu einer Auflösung der Verlobung, zur Wiederherstellung des Friedens in der Fabrik, zu einer Annäherung zwischen Hans und Edith führen, und dringt vor­lauter Reden zu keiner energischen Handlung vor. Hier aber gerade wären die starken Lichter und Schatten nöthig gewesen. Ein junges, kluges, groß empfindendes Mädchen, dem der erste schreckliche Einblick in die Tiefen des Lebens geworden ist! das zum ersten Male die Arbeit, die Noth, den Zorn in ihrer furchtbarsten Gestalt gesehen hat! eine tragische Erschütterung erscheint unabweisbar. Was die Kunst Fulda's aus­zeichnet, das Feine, Wohlerzogene, das ironische Lächeln, genügt nicht, um den Sturm