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Deutsche Rundschau.
Schilderungen enthalten. Diese Erwartung wird nicht getäuscht. Wenn der Verfasser über Petersburg nur wenige Seiten bringt, so kann man ihm dafür Dank wissen, da die nordische Kaiserstadt in unseren Reisebeschreibungen und Feuilletons immer einen der ersten Plätze einnimmt. Von hohem Interesse dagegen sind die Schilderungen seiner Reiseeindrücke in Moskau, Nischney-Nowgorod, auf der Wolga, in Kasan, am Don, am schwarzen Meere, in der Krim. Er dient uns in seiner schlichten, anschaulich objectiven Weise als kundiger Führer in Kirchen und Theatern, in öffentlichen Anstalten, in der höheren und niederen Gesellschaft; er läßt uns an der Hand eigener Erfahrungen Theil nehmen an den Vergnügungen der Vornehmen sowohl wie an den Volksbelustigungen. Eine Eigen- thümlichkeit des Russischen Lebens, das Datschenleben, ist eingehend behandelt und wird für die meisten Leser den Reiz vollkommener Neuheit haben. Das interessante Buch fand so freundliche Aufnahme, daß vor kurzem eine zweite Auflage nöthig wurde.
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Irr (tour <1e fkr^ueo, 1579 -1833. Ueenitlik xar LuZ6N6 klau tat, uttaclia au Mnwtore Ä68 Xt'G,iro8 6tranZ6r68. 2 Volmuss (1.1579— 1700, II. 1700—1833). Unrw, Oarinar Lail- tiors L Oie. 1889.
Das vorliegende, 1100 Seiten umfassende zweibändige Werk verdient als erste actenmäßige Darstellung der vielhundertjährigen Beziehungen Frankreichs zur wichtigsten seiner heutigen Kolonien die volle Aufmerksamkeit unserer Geschichtsforscher.
In der Einleitung wird die schmachvolle Geschichte der langen und erniedrigenden Abhängigkeit der seefahrenden Nationen Europa's von dem algerischen Räuberstaat eingehend berichtet. Die Herrschaft der Barbareskenstaaten über das Mittelländische Meer beginnt mit der thatsächlichen Unabhängigkeit der nordafrikanischen Küstenstaaten von der türkischen Oberherrschaft und mit dem Zeitalter der Könige Karl's V. und Franz I., während welcher diese Barbaren zu Bundesgenossen Frankreichs gegen Spanien und das deutsche Reich angeworben und ihre Unternehmungen gegen die spanische Schiffahrt französischerseits unterstützt und gefördert wurden. Von dieser ebenso kurzsichtigen wie gewissenlosen Politik suchte Frankreich erst loszukommen, als die Macht der Barbaresken ihm über den Kopf gewachsen und zur Geißel für den französischen Handel und die Sicherheit der provenyalischen Küste geworden war. Zwei Jahrhunderte lang werden Verträge abgeschlossen und (nur auf das Andringen des Marseiller Handelsstandes) Consule ausgesendet, welche Frankreich gegen die treulose Begehrlichkeitseiner Nachbarn schützen, seinem Handel mindestens eine gewisse Duldung sichern sollen. All diesen Bemühungen zum Trotz wissen die (eines gewissen Rückhalts an den Nebenbuhlern Frankreichs versicherten) algerischen Piraten indessen ungestraft die übernommenen Verbindlichkeit n zu verletzen, unter Berufung auf ihr angebliches Durchsuchungsrecht den französischen Handel schwer zu schädigen und bei den bezüglichen
Verhandlungen beinahe regelmäßig das letzte Wort zu behalten. Je tiefer die Macht der Deys sinkt und je schmählicher die Abhängigkeit wird, in welche diese Gewaltherrscher von den sie umgebenden Janitscharen-Horden ge- rathen, desto schamloser wird geraubt, gemordet und gebrandschatzt, desto wirkungsloser erscheinen die Züchtigungen, welche gelegentlich ausgesendete Expeditionen den Tyrannen des Mittelländischen Meeres ertheilen. — Beiläufig bemerkt bildet die Zeit der ersten französischen Republik eine ergötzliche Episode dieser, im klebrigen traurigen, Historie: zwischen den Zeilen der damals geführten Korrespondenz liest sich das hoffnungslose Bemühen der Republikaner heraus, den Algeriern eine Vorstellung von der hohen Bedeutung der in Frankreich stattgehabten Staatsveränderung beizubringen und denselben z. B. die Gründe einleuchtend zu machen, aus denen die jakobinische Jagd auf Emigranten und royalistiiche „Verdächtige" bis nach Algerien ausgedehnt wird. Mit charakteristischer Thor- heit entfernen die Weisen des Wohlfahrtsausschusses ihren außerordentlich tüchtigen Konsul, Parteirücksichten zu Liebe, aus seinem Amte, um ihm einen unzuverlässigen, aber patriotischen Abenteurer zum Nachfolger zu geben und mit Hülfe dieses Gesellen die Auslieferung eines des Royalismus verdächtigen Marseiller Kaufmanns durchzusetzen, der sich der besonderen Freundschaft des Deys erfreut!
Von noch lebhafterem Interesse ist die Geschichte der auf dem Wiener Kongreß begonnenen, während der folgenden Jahre fortgesetzten und schließlich von der Eifersucht der Mächte um alle praktischen Erfolge gebrachten Verhandlungen, die sich die Beseitigung des Algerischen Piratenunfugs zur Aufgabe gesetzt hatten. Eine Grenze wird demselben erst durch die französische Occupation von 1830 und die darauffolgende Annexion des inzwischen gänzlich verkommenen Raubstaates gesetzt. Die bezügliche Darstellung unseres sonst so gründlichen Buchs leidet indessen an einer empfindlichen Lücke. Der historisch gewordene Schlag mit dem Fliegenwedel, den der letzte Dey Hussein Pascha dem französischen Konsul Deval am 80. April 1827 in feierlicher Audienz und vor versammeltem Hof ertheilte und der zu der Expedition von 1830 die directe Veranlassung gab, wird in einer kurzen Anmerkung (B. 2 paZ. 563 Note 2) abgethan, obgleich eine genaue und aktenmäßige Darstellung dieses — bekanntlich sehr verschieden geschilderten — Vorganges außerordentlich erwünscht gewesen wäre. Mittelbar scheint diese Unterlassung die Version zu bestätigen, nach welcher der Dey durch beleidigende Worte des Konsuls zu seiner Ausschreitung provocirt worden war.
Außerordentlich sorgfältig redigirt, mit zahlreichen erläuternden Noten, einer lehrreichen historischen Einleitung (S. I bis UXXV) und einem sorgfältig aufgestellten alphabetischen Index sammt Liste der Verträge, der Bey's u. s. w. ausgestattet, wird diese archivalische Publicaiion überall dahin ihren Weg finden, wo die Geschichte des afrikanischen Nordgeländes den Gegenstand eingehender wissenschaftlicher Forschung bildet.