Heft 
(1891) 66
Seite
157
Einzelbild herunterladen

Literarische Notizen.

157

Unscheinbar und schlicht" nennt der liebens­würdige poetische Geleitsbrief diese einer kunst­sinnigen Wienerin, Rosa v. Gerold, gewidmete Sammlung. Sie breitet keine Schätze epischer Erfindung aus, ist aber reich an Stimmung und feinfühliger Vertiefung in stilles Menschendasein, das nicht einem weiteren Verlause nach, sondern in inneren Krisen erfaßt wird. Die durchgebildete Sprache hat einen sanften Grundton. Es ist nichts Gemachtes und Gekünsteltes in dem Buch. Die Verfasserin weiß, was sie kann, und hat nur in einer Nummer, derEnkelin des Castellans", ohne Glück eins größere romantische Komposition versucht. Sie entwickelt die Gedankenschuld einer unglücklich Verheiratheten und behandelt ein nah verwandtes Thema in derVernunftehe", sie führt dagegen den Pächter und die Baronin durch gemächliche Bande zusammen und malt in ihrem Besten,Zu spät", mit zartem Humor die resignirende Liebe des ältlichen Canzlei- beamten, sie schildert ergreifend die bittere Ent­sagung einerHäßlichen" und läßt ein dahin­siechendes Mädchen ohne Empfindsamkeit die grüne Jugend eines verliebten Jungen weihen, sie zeigt, wie eineMama" Mutter wird und er­weckt rn ihren Geschichten, Skizzen, Bildern fast durchweg den Eindruck des Empfundenen und Geschauten.

-.. Auf Urlaub im Orient. Reiseerinnerungen von Georg Schweitzer. Berlin, R. von Decker's Verlag (G- Schenck.) 1890.

Die mit jedem Jahr wachsende Ausdehnung des Schienennetzes hat auch die Reiseziele unserer Touristen immer weiter und weiter gesteckt, sodaß heute für sie Entfernungen, falls nur die nöthige Zeit vorhanden ist, kaum noch in Be­tracht kommen. In wie verhältnißmäßig ge­ringen Fristen sich jedoch auch weitere Reisen bewerkstelligen lassen, zeigt vorliegendes Buch: nur wenige Urlaubswochen stehen jährlich den: Verfasser, der Redacteur eines angesehenen Ber­liner Blattes ist, zur Verfügung, aber er verZ steht sie bewundernswertst auszunützen und sieht ^ in einen: Monat mehr als Andere in einen: Vierteljahr. Daß er trotz der Flüchtigkeit mit! Genuß, Behagen und Verständniß sieht, daß er! das Gesehene sich einprägt und bei Gelegenheit! trefflich verwerthet, beweisen seine Aufzeich-^ nungen, welche in frischem und munterem Tone die letzten Orientsahrten des Autors schildern. Im Fluge durcheilen wir Serbien und Kon­stantinopel, vom Goldenen Horn geht's nach den Gestaden Kleinasiens mit einem Abstecher nach Pergamon, dann an Cypern vorüber nach Beirut und von hier über den Libanon nach Damascus mit einem kurzen Besuche der Ruinen von Baalbeck und der Cedern des Libanon; von Beirut führt der Dampfer den Reisenden nach Jafa, von wo aus in langwieriger, an­strengender Wagenfahrt Jerusalem erreicht wird; nachdem unser nicht zu ermüdender Tourist noch das Todte Meer kennen gelernt hat, setzt er seine Fahrt fort und gelangt durch den Suez- Canal nach Kairo, um von dort über Alexandrien die Heimreise anzutreten. Ueberall hat Georg Schweitzer für Land und Volk ein offenes Auge und interessirt sich namentlich für ihre wirth-! schaftlichen Verhältnisse: anspruchslos in der

Form, weiß er dennoch, indem er hauptsächlich seine persönlichen Eindrücke wiedergibt, angenehm zu unterhalten. Das hübsch ausgestattete Buch wird allseitig freundliche Aufnahme finden; bei denen, die den Orient kennen, wird es genuß­reiche Erinnerungen erwecken, anderen Lesern aber sehr gefällig die Stunden verkürzen und sie vielleicht zur Fahrt nach dem zauberhaften Osten anregen, nach welchem Jeder, der ihn kennen gelernt, immer von Neuem Sehnsucht empfindet. «. Vom Newastrand nach Samarkand. Durch Rußland aus neuen Geleisen nach Inner-Asien. Von I)r. Max von Prosko- wetz. Wien und Olmütz, Ed. Hoelzel. 1889.

Man hat es hier mit einem Buche zu thun, das nicht einfach eine Reise von Petersburg nach Samarkand, allenfalls mit den üblichen Hotel- und Eisenbahnerfahrungen erzählt, son­dern mit einem, das offenbar höheren Ansprüchen zu genügen bestrebt ist. Geschichte, Geographie, Statistik, Nationalökonomie, Militärwesen, ja sogar Musik und Sport, Alles ist darin ver­treten und es ist neben einer Reisebeschreibung füglich auch ein Leitfaden zu nennen, der über Alles aufzuklären sucht, was mit Land und Leuten in irgend einer Verbindung steht. Her­mann Vambory, der vor einem Vierteljahr­hundert dieselben Gegenden, allerdings nicht mit denselben Transportmitteln durchzogen, hat dem Buche ein empfehlendes Vorwort mitgegeben. Der berufene Kenner sagt, daß vr. von Pros- kowetz's Werkhinsichtlich der auf die wirt­schaftlichen, commerciellen und industriellen Ver­hältnisse Russisch-Turkestan's bezüglichen Daten geradezu unvergleichlich" dastehe. Wenn er hinzusetzt,daß der Verfasser außerdem die glückliche Gabe eines fesselnden und brillanten Stiles besitzt, seine Schilderungen treu und meisterhaft sind", so kann man sich diesem Ur- theil nur anschließen. Daß der Verfasser mehr­fach Dinge behandelt, oder in einer Weise be­handelt, die nicht recht im Verhältniß zum klebrigen steht, soll darum nicht verschwiegen werden. So verliert er sich z. B. in seinen statistischen Angaben in ein Detail, das nur für besondere Kreise Interesse haben kann, und diese werden vermutlich sein Buch nicht einmal lesen. Dann dürfte der Schluß, wo er mehrere Seiten lang ausführliche Berichte über russische Rennen bringt, die im Jahre 1888 stattgefunden haben, kaum die Aufmerksamkeit selbst des eif­rigsten Sportsmannes erregen können. Im Ganzen aber darf man sagen, daß diese Reise­beschreibung über die Zustände des Russischen Centralasiens gut orientirt und die zahlreich beigegebenen vorzüglichen Illustrationen und sauber ausgeführten übersichtlichen Karten den Werth des Textes wesentlich erhöhen, u. Russische Wanderbilder. Von vr. Alfred Charpentier. Oldenburg und Leipzig, Schulze'sche Hof-Buchhandlung und Hof-Buchdruckerei. (A. Schwartz).

Von einem Buche dieses Verfassers darf man von vornherein annehmen, daß es uns über das Russische Reich, seine Bewohner und deren Sitten etwas mehr und Thatsächlicheres geben werde, als gelegentliche Zeitungsartikel und vielfach einseitige oder geradezu unrichtige