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Deutsche Rundschau.
„Das läßt sich hören," sagte das Fräulein, während ihr der Uebermuth aus den Augen lachte. „Sonderbar. Bisher erschien mir die Ballade so rund und abgeschlossen wie nur möglich: der König todt, der Becher getrunken und gesunken und das Reich (vom Balladenstandpunkte aus immer das Gleichgültigste) Jedem gegönnt und an alle vertheilt. Aber wenn wir an das Vorhandensein einer Königin glauben, und ich stehe darin nachträglich ganz aus Ihrer Seite, so sängt die Sache mit dem Tode des Alten erst recht eigentlich an und der „König von Thule," das Geringste zu sagen, ist unfertig und sortsetzungsbedürftig. Und warum auch nicht? Ein Page wird sich doch Wohl finden lassen, der sich bis dahin verzehrt hat und nun wieder Farbe kriegt oder „Eisen im Blut," um mit einem Citat unserer gnädigsten Prinzessin zu schließen."
„Ach, meine Gnädigste," sagte Holk, „Sie spotten über Romantik und vergessen dabei, daß Ihr eigener Name mit einem sehr romantischen Hergange, der Wohl eine Ballade verdient hätte, verflochten ist."
„Mein Name?" lachte das Fräulein. „Und mit einem romantischen Hergange verflochten? Bezieht es sich aus Ebba? Nun, das würde sich hören lassen, das ginge; denn schließlich lausen alle Balladen aus etwas Ebba hinaus. Ebba ist nämlich Eva, und bekanntlich gibt es nichts Romantisches ohne den Apfel. Aber ich sehe. Sie schütteln den Kops und meinen also nicht Ebba und nicht Eva, sondern Rosenberg."
„Gewiß, mein gnädigstes Fräulein, ich meine Rosenberg. Genealogisches zählt nämlich zu meinen kleinen Liebhabereien, und die zweite Frau meines Großonkels war eine Rosenberg; so bin ich denn in Ihre Geschlechtssagen einigermaßen eingeweiht. Alle Rosenberg's, wenigstens alle die, die sich Rosenberg- Gruszczynski nennen, bei den Lipinski's steht es etwas anders, stammen von einem Bruder des Erzbischofs Adalbert von Prag, der, an der sogenannten Bernsteinküste, von der Kanzel herabgerissen und von den heidnischen Preußen erschlagen wurde. Diese Kanzel, wenn auch zerstückelt und zermürbt, existirt noch und ist das Palladium der Familie . . ."
„Wovon ich leider nie gehört habe," sagte das Fräulein in anscheinendem oder vielleicht auch wirklichem Ernste.
„Woraus mir nur hervorgehen würde, daß Sie, statt dem Gruszczynski'schen, Wahrscheinlich dem Lipinski'schen Zweige der Familie zugehören."
„Zu meinem Bedauern auch das nicht. Freilich, wenn ich Lipinski mit Lipesohn übersetzen darf, ein Unterfangen, das mir die berühmte Familie verzeihen wolle, so würde sich, von dem in dieser Form austretenden Namen aus, vielleicht eine Brücke zu mir und meiner Familie herüber schlagen lassen. Ich bin nämlich eine Rosenberg-Meyer oder richtiger eine Meyer-Rosenberg, Enkeltochter des in der schwedischen Geschichte wohlbekannten Meyer-Rosenberg. Lieblings- und Leibjuden König Gustav's III."
Holk schrak ein wenig zusammen, das Fräulein aber fuhr in einem affectirt ruhigen Tone fort: „Enkeltochter Meyer-Rosenberg's, den König Gustav später unter dem Namen eines Baron Rosenberg nobilitirte, Baron Rosenberg vor Filehne, welchem preußisch-polnischen Ort wir entstammen. Es war der Sit unserer Familie durch mehrere Jahrhunderte hin. Und nun lassen Sie mich, do