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Deutsche Rundschau.
Esst war wie benommen. „Iw Du hast rechst Geert, wie schön; aber es hat zugleich so 'was Unheimliches. In Italien habe ich nie solchen Eindruck gehabt, auch nicht als wir von Mestre nach Venedig hinüberfuhren. Da war auch Wasser und Sumpf und Mondschein, und ich dachte, die Brücke würde brechen; aber es war nicht so gespenstig. Woran liegt es nur? Ist es doch das Nördliche?"
Jnnstetten lachte. „Wir sind hier fünfzehn Meilen nördlicher als in Hohen-Cremmen, und eh' der erste Eisbär kommt, mußt Du noch eine Weile warten. Ich glaube, Du bist nervös von der langen Reise und dazu das St. Privat-Panorama und die Geschichte von dem Chinesen."
„Du hast mir ja gar keine erzählt."
„Nein, ich Hab' ihn nur eben genannt. Aber ein Chinese ist schon an und für sich eine Geschichte . . ."
„Ja," lachte sie.
„Und jedenfalls hast Du's bald überstanden. Siehst Du da vor Dir das kleine Haus mit dem Licht? Es ist eine Schmiede. Da biegt der Weg. Und wenn wir die Biegung gemacht haben, dann siehst Du schon den Thurm von Kessin oder richtiger beide . . ."
„Hat es denn zwei?"
„Ja, Kessin nimmt sich auf. Es hat jetzt auch eine katholische Kirche."
* *
Eine halbe Stunde später hielt der Wagen an der ganz am entgegengesetzten Ende der Stadt gelegenen landräthlichen Wohnung, einem einfachen, etwas altmodischen Fachwerkhause, das mit seiner Front auf die nach den Seebädern hinaussührende Hauptstraße, mit seinem Giebel aber auf ein zwifchen der Stadt und den Dünen liegendes Wäldchen, das die „Plantage" hieß, hernieder blickte. Dies altmodische Fachwerkhaus war übrigens nur Jnnstetten's Privatwohnung, nicht das eigentliche Landrathsamt, welches letztere, schräg gegenüber, an der anderen Seite der Straße lag.
Kruse hatte nicht nöthig, durch einen dreimaligen Peitschenknips die Ankunft zu vermelden; längst hatte man von Thür und Fenstern aus nach den Herrschaften ausgefchaut, und ehe noch der Wagen heran war, waren bereits alle Hausinsasfen auf dem die ganze Breite des Bürgersteiges einnehmenden Schwellstein versammelt, vorauf Rollo, der im selben Augenblicke, wo der Wagen hielt, diesen zu umkreisen begann. Jnnstetten war zunächst seiner jungen Frau beim Aussteigen behülflich und ging dann, dieser den Arm reichend, unter freundlichem Gruß an der Dienerschaft vorüber, die nun dem jungen Paare in den mit prächtigen alten Wandschränken umstandenen Hausstur folgte. Das Hausmädchen, eine hübsche, nicht mehr- ganz jugendliche Person, der ihre stattliche Fülle fast ebenso gut kleidete, wie das zierliche Mützchen auf dem blonden Haar, war der gnädigen Frau beim Ablegen von Muff und Mantel behülflich und bückte sich eben, um ihr auch die mit Pelz gefütterten Gummistiefel auszuziehen. Aber ehe sie noch dazu kommen konnte, sagte Jnnstetten: „Es wird das Beste sein, ich stelle Dir gleich hier unsere gesammte Haus- genofsenschaft vor, mit Ausnahme der Frau Kruse, die sich — ich vermuthe