Heft 
(1894) 81
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Deutsche Rundschau.

einstellte, welche sich selber anboten. Scheinbar war diese Neuerung sehr un­bedeutend ; sie brauchte nicht einmal durch Gesetz eingeführt zu werden, sondern vollzog sich einfach aus dem Wege der Verwaltung. Denn zu allen Zeiten hatten die Consuln das Recht gehabt, die Proletarier aus Staatskosten zu bewaffnen; doch pflegten sie nur in der äußersten Nothlage des Staates Gebrauch davon zu machen- Marius that es ohne solchen Zwang und erhob dadurch zur Regel, was früher Ausnahme gewesen war. Denn natürlich war das Ver­fahren, welches er zuerst bei der Aushebung verwandte, so populär, daß auch seine Nachfolger, obgleich sie gesetzlich nicht behindert waren, auf die frühere Uebung zurückzugreifen, sich doch durch die Stimmung des Volkes zur Nach­ahmung gezwungen sahen.

So unscheinbar sich diese Neuerung einführte, bedeutete sie doch nichts Geringeres, als eine Umkehrung aller militärischen Verhältnisse Roms, welche bald auch auf die politischen einwirken sollte. Nach wie vor war jeder Bürger verpflichtet, unter die Fahnen zu treten, sobald die Obrigkeit es ihm befahl. Die Möglichkeit der Aushebung fand ihre Grenze allein in der Zahl der Römer, welche Waffen tragen konnten; ihr Material war also fast unerschöpflich. Aber der gesetzliche Zwang kam nur zur Anwendung, soweit die freiwilligen Mel­dungen nicht genügten. Diese liefen natürlich nur von solchen Leuten ein, die, wenn sie ins Feld zogen, zu Hause nichts versäumten. Außer dem kleinen Häuflein vornehmer Jünglinge, welche durch den Kriegsdienst ihre politische Laufbahn einleiteten, waren es Landstreicher und arme Teufel. Hatte man früher die Proletarier nur in der dringendsten Noth aufgeboten, so bildeten sie jetzt den regelmäßigen Bestand der Heere, und statt ihrer waren die Eigen- thümer zur Reserve geworden, auf die man nicht ohne zwingendes Bedürfniß zurückgriff. Im Drange der Bürgerkriege geschah dies zwar sehr oft, aber der Charakter der römischen Heere bestimmte sich nicht nach solchen Ausnahmen, so zahlreich sie auch sein mochten, sondern nach den Elementen, aus welchen ihr dauernder Kern bestand. Wie früher die Blüthe des Volkes, so repräsentirten sie jetzt dessen Hefe.

Politisch mochte dies schwere Bedenken haben: militärisch war es zunächst ein unverkennbarer Fortschritt. Wer nicht daneben noch Bauer oder Hand­werker, sondern nur Soldat ist, der ist gewiß nicht der schlechteste Soldat. Daß auch auf kriegerischem Gebiete nur der Specialismus zur Vollkommenheit führt, hatte Rom schon vor Jahrhunderten aus mancher schweren Erfahrung lernen können. Nach jedem Feldzuge hatte man das Heer aufgelöst; eine militärische Ausbildung im Frieden War unbekannt gewesen, und in den frühesten Zeiten hatte man auch kaum Gelegenheit gehabt, ihren Mangel zu empfinden. Denn die kleinen Nachbarvölker, mit denen man sich herumschlug, wußten ebenso wenig von Kriegskunst und soldatischer Schulung, wie ihre römischen Gegner. Doch während man hier mit Volskern, Aequern und Etruskern in natur­wüchsiger Rohheit Hiebe wechselte, waren im höher entwickelten Osten Heere von Berufssoldaten entstanden, welche durch lebenslange Uebung die Technik des Waffenhandwerks bis zur höchsten Vollendung entwickelten. Zwar war es zusammengelaufenes Gesindel ohne Vaterland und Pflichtgefühl. Von schlechten