Heft 
(1894) 81
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Deutsche Rundschau.

getrübt, so kann man Wohl noch Kugeln ins Blaue hinein versenden, von denen doch immer die eine oder die andere trifft, aber wohlgezielte Stöße pariren und die Blößen des Gegners erspähen wird dann zur Unmöglichkeit. Und begann die Furcht erst an einer Stelle ihre Wirkung zu äußern, so war auch dies den antiken Heeren verhängnißvoller als den modernen. Bei uns wird säst jedes Bataillon gesondert in den Kamps geführt; es siegt für sich oder flieht für sich. Die Schlachtordnung des Alterthums dagegen bildete eine fest geschlossene Masse, in der jeder Stimmungswechsel des einzelnen Theiles sich durch die unmittelbare Berührung schnell über das Ganze fortpflanzte. Was half es da, daß die Hinteren Reihen noch gar nicht ins Gefecht gekommen waren? Wenn ihre vorn stehenden Kameraden sie mit angstverzerrten Ge­sichtern rückwärts drängten, so vermochten sie nur in den seltensten Fällen der moralischen Ansteckung zu widerstehen, und schnell wurde die Flucht eine allgemeine. Und während heute die Verfolgung einen ganz neuen Abschnitt des Gefechtes bildet und oft erst beginnt, wenn die Fühlung mit dem Feinde schon verloren ist, schloß sie sich damals unmittelbar an den heißesten Kampf. Der Soldat sah dicht vor sich plötzlich den Rücken desselben Gegners, der ihm eben noch die Brust gezeigt hatte, und schlug mit erneuter Freudigkeit drauf los, bis ihm der Arm erlahmte. Daher die grauenvollen Verluste, welche der Besiegte fast immer zu erleiden pflegte, auch wenn der Sieger nur wenige Mann einbüßte. Unter diesen Umständen ist es nicht zu verwundern, wenn uns die alte Geschichte so häufig von der Vernichtung ungeheurer Massen durch ganz kleine, aber tüchtige Heere zu berichten weiß.

Etwas anders gestaltete sich der Kampf, wenn man nicht einfach Front gegen Front stritt, sondern durch Ueberflügelung, Flankenangriff, Hinterhalt oder andere künstlichere Mittel zu wirken suchte. Doch auch diese waren den Söldnerführern, welche den Krieg als Kunst studirt hatten, viel geläufiger, als den jährlich wechselnden Bürgergeneralen Roms, und zugleich waren ihre Truppen zu jedem Manöver complicirterer Art auch viel besser zu brauchen. So mußten sie trotz ihrer geringeren Menge im Anfang des Krieges fast aus­nahmslos die überlegenen sein; aber in seinem weiteren Verlaufe hörte dies nach und nach auf. Denn jede Schlacht, auch die siegreiche, riß Lücken in die ohnehin schon dünnen Reihen der Söldnerschar, und geschulte Soldaten ließen sich nicht so leicht ersetzen, wie die rohen Fäuste der Landmiliz. Hatte das Leben der Landsknechte für den Staat keinen Werth: für den Krieg war es um so kostbarer. So wurde ans der einen Seite das Heer immer schlechter, je mehr Rekruten in die leergewordenen Stellen einrückten, und auf der anderen bildeten sich die Bürger und Bauern im Verlaufe des Kampfes allmälig zu geübten Soldaten aus. Denn war der Krieg lang und schwer, so konnte man nicht, wie man sonst Pflegte, für jeden Feldzug neue Leute ausheben, sondern der gediente Mann mußte wieder und wieder gegen den Feind, und die Truppenmacht gewann den Charakter eines stehenden Heeres. Auf diese Weise kamen die Gegner in der Qualität ihrer Soldaten einander immer näher; da nun das Uebergewicht der Zahl auf Seiten der Miliz verblieb, mußte diese zum Schluffe doch den Sieg gewinnen. Freilich kam er meist so spät und