Heft 
(1894) 81
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Das römische Heer.

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gesetzlich auserlegt waren und diese Zahl mitunter bis zum Doppelten über­schritten wurde. Für die Cohorten der Freiwilligen scheint der Minimalsatz, wie sür die Unterthanen, fünfundzwanzig Jahre gewesen zu sein; auch erwies man ihnen nicht das Vertrauen, sie in große Heerkörper zusammenzufassen.

Die Garde bestand während des größten Theiles der Kaiserzeit aus zehn Cohorten von je tausend Mann. Die Zahl der Legionen schwankte zwischen fünfundzwanzig und dreißig. Freiwillige Cohorten gab es unter den julischen Kaisern mindestens zweiunddreißig, was der Kopfzahl von drei bis vier Legionen gleichkam; später gingen sie zum Theil ein, zum Theil füllten sie sich mit Nnterthanen und sanken so aus den Rang der gewöhnlichen Cohorten herab. Alles in Allem werden die Bürgersoldaten bis aus Diocletian kaum je die Zahl von 180000 erreicht haben. Das gesammte Reichsheer darf man aus 300350 000 schätzen, sehr wenig sür ein Gebiet, das sich von Schottland bis Mesopotamien ausdehnte und von feindlichen Stämmen überall umgeben und durchsetzt war.

Doch diese kleine Macht hat sich drei Jahrhunderte lang zu behaupten gewußt und wäre auch weiter auf ungemessene Zeit allen ihren Gegnern überlegen geblieben, wenn ihre Organisation sich unverändert hätte erhalten können. Denn sür die Abwehr wilder Barbaren, welche zwar überall ver­breitet und in ihrer Gesammtheit unendlich zahlreich waren, aber immer nur vereinzelt angriffen, war sie von unübertrefflicher Wirksamkeit. Ein kleiner Theil der Legionen und ihrer unterthänigen Hülsstruppen stand im Innern der Provinzen, aber nur dort, wo die Bevölkerung noch zum Aufstande geneigt war, oder wo unbezwungene Räuberstämme in ihrer Mitte hausten. Die große Masse reihte sich an der römischen Grenze aus. Bei deren ungeheurer Ausdehnung konnte jeder einzelne Punkt natürlich nur schwach besetzt sein; aber hinter den großen Strömen, zum Theil auch hinter künstlichen Befestignngs- linien gedeckt, vermochten selbst einzelne Cohorten den Plünderungszügen kleinerer Raubscharen, wie sie in diesen Kämpfen die Regel bildeten, ohne Schwierigkeit Einhalt zu gebieten. Vereinigten sich mehrere Stämme zu ge­meinsamem Angriff oder brach von Osten der Partherkönig mit seiner ge­sammelten Macht in das römische Gebiet ein, so zog meistens der Kaiser per­sönlich ins Feld, und mit ihm kamen aus Rom die 10000 Prätorianer, welche nicht nur als seine Leibwache, sondern zugleich als allgemeine Armee­reserve dienten. Diese Kerntrnppe repräsentirte trotz ihrer kleinen Zahl doch eine ganz bedeutende Macht, die Wohl die Entscheidung bringen konnte. Freilich verging eine lange Zeit, bis sie zur Stelle war, und unterdessen konnte die schwache Grenzbefestigung von übermächtigen Feinden vernichtet sein. Doch vor solchen Schlägel! ist keine Militärmacht sicher, und die meisten anderen hätten sie schwerer getroffen, als das römische Reich in seiner gewaltigen Aus­dehnung. Denn niemals drohten ja alle seine Feinde zugleich; man hatte daher immer die Möglichkeit, von denjenigen Grenzen, welche zur Zeit in Frieden waren, Verstärkungen an die gefährdeten Stellen zu schicken. Bis die Legionen vom Rhein an den Euphrat marschirten oder umgekehrt, verflossen allerdings lange Monate, in denen die schlecht beschützten Provinzen furchtbar