Heft 
(1894) 81
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verwüstet sein konnten; in der geringen Zahl und weiten Verzettelung seiner Streitkräfte lag für das Reich also zweifellos ein Moment der Schwäche. Doch große Katastrophen, in denen es sich fühlbar machte, ereigneten sich im Jahrhundert, wenn's hoch kam, drei oder vier Mal. Man mußte sie hin­nehmen wie Pest oder Erdbeben; denn die Wehrverfassung des Reiches auf so seltene Ausnahmen einzurichten, erlaubten die Geldmittel nicht.

Uebrigens brauchten die römischen Heere durch die Vorzüglichkeit ihrer Organisation auch große Uebermachten nicht zu scheuen. Ein erheblicher Vor­theil für sie lag schon in der Unterscheidung von Bürgertruppen und Hülss- Völkern. Von den letzteren waren viele in der eigenthümlichen Kampfart ihrer Nation weiter ausgebildet und lieferten so Specialwaffen von großer Mannig­faltigkeit und Brauchbarkeit. Als Beispiele seien nur die balkarischen Schleu- derer, die orientalischen Bogenschützen, die arabischen Kameeltreiber angeführt. Die meisten waren leichter bewaffnet als die Bürgersoldaten und taugten daher gut zu Recognoscirungen, plötzlichen Ueberfällen, und wo sonst Schnelligkeit erforderlich war. Außerdem war das Blut dieser Barbaren in den Augen des Römers ziemlich werthlos, und es ist immer bequem für den Feldherrn, wenn er Truppen besitzt, welche er wichtigen Zwecken zu Liebe ohne Bedenken aufopfern kann. Die eigentliche Kraft des Heeres aber ruhte in den Bürger- foldaten, nicht nur weil ihre Ausrüstung mit Schutz- und Trutzwaffen so voll­kommen war, wie sie die Technik des Alterthums nur Herstellen konnte, sondern noch mehr, weil sie das civilisirteste Element der römischen Kriegsmacht dar­stellten. Den Vortheil langjähriger Schulung hatte auch der Auxiliäre vor den Feinden jenseit der Reichsgrenzen voraus; ihnen gegenüber besaß auch er die Fechtkunst und Manövrirgewandtheit, welche den Söldnern Hannibal's eine so große Ueberlegenheit über die römischen Milizen verliehen hatte. Doch blieb er immer der Barbar, welcher ungezähmten Trieben blindlings gehorchte und sich ebenso leicht von panischer Furcht, wie von wilder Begeisterung Hinreißen ließ. Prätorianer und Legionäre waren geworbene Landsknechte, d. h. Ge­sindel; moralisch standen sie tief unter den Soldaten der Cohorten und Alae, welche der Zwang der Aushebung ihrem Volk entrissen hatte; ihre Unbotmäßig­keit und Habgier hat das Reich oft in schwere Wirren gestürzt. Doch sie be­saßen in viel höherem Grade die sichere Haltung, leichte Findigkeit und ruhige Kaltblütigkeit gebildeter Menschen, und diese Eigenschaften, mochten sie auch nach modernem Maßstabe noch immer schwach genug in ihnen ausgebildet sein, sicherten doch ihr militärisches Uebergewicht gegen alle Barbaren.

III.

Wohl hatten die römischen Krieger gezittert, da sie zum ersten Mal die halbnackten Riesengestalten der Deutschen mit den wallenden blonden Mähnen vor sich sahen. Grauenvoll tönte ihr Kriegsgesang, der in die Schilde hinein­gebrüllt und dumpf von ihrer Wölbung zurückgeworsen wurde. Und als dann die Keile ihrer ungefügen Schlachtordnung wild vorstürmend in die Legionen eindrangen, als der graste Blick ihrer blauen Augen aus nächster Nähe auf die kleinen Südländer herabdrohte und ihre wuchtigen Hiebe niedersausten, hatte