Heft 
(1894) 81
Seite
61
Einzelbild herunterladen

Das römische Heer.

61

selbst der Muthigste nicht Stand gehalten. In dem Kampfe Mann gegen Mann, wo man ruhig die Stöße des Gegners abwehren und seine Blößen treffen muß, ist Kraftgefühl und ruhiges Blut die erste Bedingung des Sieges. Jeder neue sinnliche Eindruck, der beängstigend auf die Phantasie der Soldaten Wirkte, ist daher in den Schlachten des Alterthums verhängnißvoll geworden. Doch alle diese Schrecken wurden unschädlich, sobald man sich an sie gewöhnt hatte. Der sechtgewandte Legionär merkte schnell, daß die grimmigen Hiebe der Germanen sehr ungeschickt geführt waren und meist an Helm und Schild wirkungslos abglitten, daß sein kurzes Schwert leicht die nackte Brust des Gegners durchdrang und keine künstlichen Paraden ihm wehrten. Furchtbar war ihr erster begeisterter Ansturm, doch hatte man ihn ausgehalten, so war die Gefahr auch schon beinahe vorüber. Denn schnell erlahmte ihre ungeschulte Kraft, und begann ihr Muth zu schwinden, so packte die Todesangst die rohen Naturkinder bald mit unwiderstehlicher, elementarer Gewalt. Von geschickten Manövern, um den Feind zu überflügeln oder im Rücken zu fassen, von Re­serven, welche die halbverlorene Schlacht vielleicht Herstellen konnten, Wußte ihre Seele nichts. Alle Kunstmittel des Krieges waren nur auf Seiten ihrer Gegner, und alle wirkten auf sie mit der vollen Wucht der Ueberraschung. So blieben die Römer selbst gegen weit überlegene Massen fast immer Sieger, falls nicht die Legionen, wie beim Aufstande des Civilis, durch innere Wirren zer­rüttet und entmuthigt waren. Sonst vermochte nur ganz erdrückende lleber- zahl, große Ungunst des Geländes oder plötzlicher Ueberfall, wie sie alle drei im Teutoburger Walde zusammenwirkten, den Deutschen hin und wieder einen Erfolg zu verschaffen; aber immer blieb er vereinzelt und wurde in der Regel bald wieder wett gemacht.

Doch die Ueberlegenheit Roms beruhte zum großen Theil auf der höheren Civilisation des Menschenmaterials, welches die Bürger des Reiches, vor Allem die Italiker, für den Kriegsdienst stellten, und dieses begann allmälig zu ver­sagen. Die Söldnerheere erschöpften sich, wie die des Pyrrhus und Hannibal gethan hatten, nur daß der Proceß sich hier viel langsamer vollzog. Gewiß wäre es nicht schwer gewesen, die kleine Zahl von 50007000 Mann, welche man jährlich zur Ergänzung der Garde und der Legionen brauchte, dauernd aus Italien zu rekrutiren, wenn man Zwang hätte anwenden wollen. Doch nach den Leiden der Bürgerkriege hielt es Auguftus für geboten, dem tief er­schöpften Lande Erholung zu gönnen. Er wollte ihm nur die überschüssigen Kräfte entziehen, welche sich freiwillig darboten, nicht den Bauern, der seinen verwüsteten Acker eben wieder urbar machte, vom Pfluge wegnehmen. Auch hatte die lange Kriegszeit Landstreicher genug hinterlassen, welche sich zu den Fahnen drängten. Einstweilen lieferten daher die Werbungen sogar noch einen Ueberschuß. Man mußte Rekruten, welche durch ihre Abstammung zum Prätorianerdienst qualificirt waren, in die Legionen einstellen, weil die Garde überfüllt war, und einzelne Freiwilligen-Cohorten konnten aus Italikern ge­bildet werden, die in den Legionen keinen Platz mehr fanden. Der regelmäßige Ersatz bot also noch keine Schwierigkeiten; Wohl aber traten sie ein, sobald sich ein außergewöhnliches Bedürfnis geltend machte. Mit Staunen lesen Wir,