Das römische Heer.
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künste und Exercitien der Römer jenseit des Rheines kein Geheimniß bleiben, und nichts hat unser Volk schon seit den Urzeiten mehr ausgezeichnet, als die Erkenntniß und geschickte Aneignung fremdländischer Vorzüge. Römische Disziplin zu lernen, war die wilde Ungebundenheit der Germanen sreilich noch außer Stande; ein wichtiges Moment der Ueberlegenheit blieb also aus Seiten ihrer Feinde. Doch dafür waren die Heere der Römer klein und konnten nicht jeden Augenblick beliebig vermehrt werden, während den Germanen eine unerschöpfliche Volksmenge zur Verfügung stand. Häufiger und häufiger wurden die Siege, welche sie über die Legionen errangen, obgleich die gesammelte Kraft des Weltreiches mit ihren vereinzelten Stämmen zum Schluffe immer noch fertig wurde.
Nichts ist verhängnißvoller für den Bestand des römischen Reiches geworden, als diese allmälige Barbarisirung seiner Heere, welche langsam, aber unaufhaltsam seine Ueberlegenheit den wilden Nachbarn gegenüber untergrub. Was waren die Gründe dieser merkwürdigen Erscheinung? Die Entvölkerung Italiens hatte zwar mit dem Ende der Bürgerkriege keineswegs ihren Abschluß gefunden; auch die zwei friedlichen Jahrhunderte, welche der Begründung der Monarchie folgten, hatten die Blüthe des verödeten Landes nicht Herstellen können. Dennoch ist es ganz undenkbar, daß die Volkszahl jemals so herabgegangen sei, um die 700 Freiwilligen, deren die Garde jährlich zu ihrer Ergänzung bedurfte, nicht mehr stellen zu können. Aber selbst wenn wir dies glauben wollten, so bliebe es dennoch unbegreiflich, warum zur Füllung der Legionen auch die Bürger der Provinz endlich nicht mehr genügten; denn diese hatten sich nicht vermindert, sondern schnell vermehrt. Unter Claudius hatte man im ganzen Reiche sechs Millionen waffenfähige Bürger gezählt; seitdem war jeder Soldat, der aus den Alae und Cohorten entlassen wurde, mit dem Bürgerrecht beschenkt worden und hatte es ans seine Nachkommen fortgepflanzt. Zahlreichen Städten, ja mitunter selbst ganzen Provinzen war es durch kaiserliche Gnade verliehen, so daß gegen Ende des zweiten Jahrhunderts nur wenige Gebiete innerhalb des Reiches existirten, die sich einer höheren Civilisation rühmen konnten und nicht von Bürgern bewohnt waren. Wenn man sich also mit den Werbungen immer mehr auf die Unterthanen, d. h. auf halbwilde Barbaren, angewiesen sah, so bedeutet dies nichts Anderes, als daß, wo die Cultur herrschte, die Waffentüchtigkeit allmälig schwand.
Sollen wir daraus schließen, wie es Wohl die Alten selbst gethan haben, daß die Civilisation als solche die Völker entnerve? Ich denke, unsere eigenen Erfahrungen müssen uns das Gegentheil beweisen. Oder sind es etwa unter den Nationen des modernen Europa, von den anderen Welttheilen ganz zu geschweigen, die mindest civilisirten, welche die größte militärische Kraft entfalten? Auch die Heere Roms fanden ihre Stärke nicht in den barbarischen Hülssvölkern, sondern in den Legionen, und es war gewiß nicht ohne Grund, daß man diese, so lange es noch anging, aus denjenigen Landschaften rekrutirte, welche in der Cultur am höchsten standen. Von Augnstus bis auf Mark Aurel hatte sich in Italien die Civilisation nicht erhöht, war vielmehr aus allen Gebieten zurückgegangen. Wenn also das Land unter jenem nach einer langen