64
Deutsche Rundschau.
Epoche verheerender Bürgerkriege noch 150000 Freiwillige stellen konnte und dann nach zwei Jahrhunderten friedlicher Erholung kaum noch 10 000, so müssen die Gründe andere gewesen sein.
Ein großer Krieg kann zwar viele tausend Menschen verschlingen, doch setzt er die Wehrkraft einer Nation nicht mehr herab, als sich aus der Minderung ihrer Kopfzahl von selbst ergibt, und dieser Verlust ist unter normalen Verhältnissen in wenigen Generationen wieder eingebracht. Bei den Aushebungen der letzten Jahre hat man sowohl in Frankreich als auch in Deutschland die Beobachtung gemacht, daß unter den Wehrpflichtigen, welche bald nach dem großen Kriege von 1870/71 gezeugt waren, die Zahl der Untauglichen auffallend gering und überhaupt die ganzen Jahrgänge von hervorragender Kraft und Tüchtigkeit waren. Die Kämpfer, welche die Strapazen des Feldzuges überstandcn hatten, Waren eben gehärtet in Wind und Wetter; sie hatten Hunger und Müdigkeit ertragen lernen, ihren Körper in steter Anstrengung geübt und vererbten die kriegerische Stärke, welche sie so erworben hatten, auch aus ihre Nachkommen. Aehnliche Folgen müssen auch die Kriege Roms gehabt haben, so lange Bürger und Bauern sie führten und nach ihrer Beendigung wieder in den Schoß der Familie zurückkehrten. Zwar der Ersatz für die Gefallenen vollzog sich nicht so schnell, wie unter den Germanen alter und neuer Zeit; denn die socialen und wirthschastlichen Zustände waren der Volksvermehrung zu ungünstig. Doch was man an Zahl einbüßte, wurde ersetzt durch die größere Tüchtigkeit des Nachwuchses, und trotz aller Verluste blieben die Italiker das erste Kriegsvolk der damaligen Welt. Aber die Söldner der Kaiserzeit hinterließen keinen Nachwuchs; denn so lange sie unter den Fahnen standen, war ihnen das Heirathen verboten, und wurden sie endlich entlassen, so waren sie zu alt und zu sehr an das wilde Lagerleben gewohnt, um eine Familie zu gründen. Freilich unterhielten sie oft Verhältnisse mit den Weibern, welche in der Nähe ihrer Standlager wohnten, und in der späteren Zeit, als man nach der bürgerlichen Qualität der Rekruten nicht mehr fragte, haben die Bastarde, welche aus diesen Verbindungen hervorgingen, beinahe die halbe Mannschaft der Legionen gebildet. Dies ist um so beachtenswertster, als ihre Zahl niemals sehr groß gewesen sein kann. Selbst heute, wo das Leben jedes menschlichen Wesens durch das Gesetz geschützt ist, pflegt die Sterblichkeit unter den Bastarden viel bedeutender zu sein, als unter den ehelich Geborenen. Im Alterthum war Jeder befugt, einen Sprößling, der ihm unbequem kam, zu tödten oder auszusetzen, und es läßt sich kaum bezweifeln, daß ein ansehnlicher Brnchtheil jener Lagerkinder, wenn nicht gar die Mehrzahl, auf solche Art ihren Untergang fand. Wenn sie trotzdem in so hervorragender Weise zum Bestände der späteren Legionen beitrugen, so ist dies ein sprechender Beweis, welchen Einfluß das Gesetz der Erblichkeit, das die ganze organische Natur beherrscht, auch aus das römische Heerwesen ausübte. Aber vor Antoninus Pius konnten sie zum bürgerlichen Kriegsdienst nicht zugelassen werden, da sie säst alle von unterthänigen Weibern, viele Wohl gar von Sklavinnen geboren waren, also das Bürgerrecht nicht besaßen. So verstärkten sie höchstens die Alae und Kohorten; den Legionen ging einstweilen