Das römische Heer.
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noch ihre tüchtige Kraft verloren. Doch auch als sie in das Bürgerheer ein- treten konnten, haben sie die Barbarisirung desselben nicht ausgehalten. Denn von barbarischen Müttern abstammend und an den fernen Reichsgrenzen ausgezogen, können sie mit der römischen Civilisation nur sehr geringe Fühlung gehabt haben.
Man erinnere sich, daß der Legionsdienst Jedem, der ihn ergriff, genügenden Unterhalt für seine kräftigen Jahre und nach der Entlassung ein sicheres Alter gewährleistete. Für arme Teufel — und solche bilden überall die große Mehrheit der Bevölkerung — mußten diese Lockmittel stark genug sein, um fast Jeden, der Kraft und Muth in sich fühlte, unter die Fahnen zu ziehen; die zu Hause blieben, waren, im großen Durchschnitt genommen, die Schwachen und Feiglinge. Aber nur diese dursten sich sortpslanzen, während die kräftigsten Elemente der Bevölkerung entweder gar keine oder doch keine bürgerlichen Nachkommen hinterließen. Ist es da zu verwundern, daß die Bürgerschaft, welche sich immer wieder aus so schlechtem Blut erneute, von Generation zu Generation unkriegerischer wurde? Der Dienst in der Garde trug jeden Tag anderthalb Mark nach unserem Gelds und verlieh schon nach sechzehn Jahren die Anwartschaft auf ein hübsches Bauerngut. Wenn sich hierfür im zweiten Jahrhundert nicht 700 Freiwillige jährlich aus Italien gewinnen ließen, so kann dies nicht an der Entvölkerung des Landes gelegen haben, sondern nur an der Entartung seiner Bewohner, denen kein Vortheil mehr groß genug schien, um ihren schwächlichen Seelen die Anstrengungen und Gefahren des Soldatenlebens erträglich zu machen. Und wie das Bürgerrecht sich über die Provinzen verbreitete, folgte ihm überall das Werbeshstem mit seinem verderblichen Einfluß und entnervte eine Landschaft nach der andern. Hatte im ersten Jahrhundert die Stärke Roms in seinen bürgerlichen Legionen gelegen, so galt im fünften nur noch der Barbar für einen brauchbaren Soldaten.
Denn die Unterthanen wurden von dieser Verderbniß nicht in dem gleichen Maße ergriffen, weil bei ihnen die Aushebung, nicht die Werbung herrschend war. Da die kostspielige Veteranenversorgung für sie nicht bestand, hatte man auch keinen Grund, sie sehr lange über die gesetzliche Dienstzeit unter den Fahnen zu halten. Sie standen daher bei ihrer Entlassung meist noch im kräftigsten Mannesalter und konnten ihre militärische Tüchtigkeit aus Kinder und Enkel sortpslanzen. Zwar verlieh ihnen Caracalla allen das Bürgerrecht, aber gleich daraus brach die zweite Periode innerer Kriege über das Reich herein, und das Bedürfniß nach Rekruten wurde zu groß, als daß man auf die Aushebung hätte verzichten können. So erhielt sich in der barbarischen Bevölkerung ein Theil der alten militärischen Kraft, und durch neuen Zuzug verstärkt, sollte sie aus ihrer Mitte die Elemente hervorgehen lassen, welche dem Reich im vierten Jahrhundert noch einmal eine kurze Blüthe brachten.
Deutschs Rundschau. XXI, 1.
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