Heft 
(1894) 81
Seite
84
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Deutsche Rundschau.

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In Capri sah ich vor einiger Zeit iw Hotel Quisisana die Tarantella von drei prächtigen jugendlichen Paaren tanzen; eine alte dicke Neapolitanerin gab dazu den Takt nur mit dem Tamburin; kein anderes Instrument wurde dazu gespielt, noch wurde dazu gesungen. Der Rhythmus war ein etwas anderer, als wir ihn von der Tarantelle in derStummen von Portici" kennen, und auch anders, als ihn die Tarantelle von Chopin bringt; es war eben die Tarantelle von Capri. Der nur durch das Tamburin hervorgebrachte Rhythmus wirkte allein schon als Musik; Musik ohne Melodie, ohne Har­monie.

Ich erinnere mich, schon öfter solche Eindrücke gehabt zu machen: so in Alexandrien. Gegenüber dem Balkon meines Hotelzimmers wurden die Funda­mente eines Hauses gebaut; ägyptische und arabische Frauen in ausgeschürztem schwarzem Gewände, den unteren Theil des Gesichtes nach Landessitte ver­hüllt, trugen aus dem Kopse die Steine zu. Bei glühender Sonnenhitze stiegen sie in Reihen gravitätisch hinter einander auf und ab und sangen dazu Worte in langsamem, immer wiederkehrendem gleichen Rhythmus, immer in gleichem Ton. Es war eine unendlich schwermüthige, im strengsten Sinne monotone Musik H. Man vermuthete nach dem Eindruck, die Worte dieses Gesanges müßten eine tief melancholische orientalische Poesie enthalten. Ich erkundigte mich danach; sie lauteten etwa:Wie schwer haben wir Armen zu arbeiten; möchte uns der Bauherr doch mehr Geld für unsere Arbeit geben!" Melan­cholisch, ja! doch mehr social- als poetisch-melancholisch!

Auch der zum Marsch der Soldaten ertönende Trommelschlag ist eine Art Musik, welche durch die ihn zuweilen begleitenden Querpfeifen ihren Charakter wenig ändert, trotzdem diese doch eine Melodie blasen; die Wirkung würde dieselbe bleiben, wenn bie Querpfeifen immer nur einen Ton in wieder­kehrenden Rhythmen bliesen.

In allen diesen und vielen anderen Fällen wirkt der tönende wieder­kehrende Rhythmus mächtig erregend auf die Körperbewegungen, und wenn Tanzende die Instrumente selbst spielen oder schlagen, so können Körper- und Tonbewegungen gegenseitig derart steigernd auseinander wirken, daß es zur völligen Raserei kommt, wie bei der Tarantella. Aehnliches beobachtet man bei den heulenden und tanzenden Derwischen, die sich durch ihr mit rhyth­mischen Bewegungen verbundenes Geschrei in eine Ekstase treiben, welche der­jenigen eines modernen Opern- oder Concertpublicums kaum nachstehen dürfte H.

Daß eine in abwechselnde Töne, in eineMelodie" geformte rhythmische Bewegung als Tanzlied oder als instrumentale Tanzmusik, als Marschlied oder als Bandamusik aus uns noch angenehmer, noch erregender wirkt, ist gewiß; doch ob dies ebenso bei uncultivirten Völkern der Fall sein würde,

1) Mozart baut sowohl den ersten als den letzten Satz seiner O-ctur-Sinfonie, Beethoven den zweiten Satz seines großen l?-ctur-Streichquartetts auf einen monotonen Rhythmus.

2) Wir sprechen hier vorläufig nur von dem bewegten Rhythmus oder der rhythmischen Bewegung. Später soll auch vom ruhenden Rhythmus (der Symmetrie) die Rede sein. Aristides (ly'2 Jahrhundert v. Chr.) hat bereits beide Arten des Rhythmus unterschieden und besprochen.