Heft 
(1894) 81
Seite
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Wer ist musikalisch? 89

von Unterofficierm und höheren Osficieren über das Erlernen des rhythmischen Marschirens mitzu- theilen:

1. Von einem Divisi ons-Comm andanten: Es gibt Recruten, welche nie lernen rhythmisch zu marschiren; diese können nnr als Handwerker, Wärter rc. verwandt werden, oder werden zur Cavallerie transferirt. Es gibt sehr Ungeschickte, welche erst in 810 Wochen, Ungeschickte, welche erst in 46 Wochen marschiren lernen, aber in der Truppe immer als schlecht marschirend kenntlich sind und dieselbe verunstalten. Es sind ungefähr 2030 Procent, zumal unter den Soldaten aus den Gebirgsländern. Rumänen und Bosnier meinen oft gut zu marschiren, und marschiren doch tactlos.

2. Von einem deutsch-böhmischen Regiment: Es gibt Soldaten, welche nie den Taet erlernen; solche müssen bei jeder Parade Zurückbleiben. Ungeschickte brauchen 35 Wochen, um marschiren zu lernen. Wer nach sechs Wochen Hebung nicht im Tact marschiren kann, er­lernt es nicht mehr. Die Zahl der Ungeschickten beträgt etwa 2 Procent. Es gibt intelligente Soldaten, welche glauben, gut zu marschiren; sie berühren aber immer zu früh den Boden. Es gibt sogar Unterofsiciere, welche nicht an der Spitze marschiren können, weil sie den Tact nicht einhalten. Die Gebirgsbewohner marschiren im Allgemeinen tactfest, aber immer mit ge­bogenen Knien, daher nie elegant.

3. Von einem ungarischen Regiment: Es gibt Soldaten, die das Marschiren schwer lernen; Temperament und Beschäftigung spielen dabei eine Rolle. Die Ungeschicktesten er­langen nie Sicherheit. Die Ungeschickten werden bei sehr viel Abrichtung und gesondertem Unterricht in vier Wochen schon etwas Sicherheit erlangt haben, und nach acht Wochen (Schluß der ersten Abrichtungsperiode) den gestellten Anforderungen entsprechen. Tie Zahl der Ungeschickten dürfte etwa 0,10,4 Procent betragen. Es gibt Recruten, die gut zu marschiren glauben, über­aus Mangel an Tactsinn immer zu früh oder zu spät die Erde berühren. Der Flachländler geht dem Gebirgsländler in dem Erlernen des Marschirens weit voran.

4. Von einem slovenischen Regiment: Es gibt Leute, die nach U/s Wochen voll­kommen marschiren. Andere lernen es in sechs Wochen kaum und machen immer Fehler. Zahl der Ungeschickten etwa 33 Procent. Manche glauben gut zu marschiren und sind verwundert, wenn man sie tadelt.

5. Von der Sanitätstruppe (national gemischtes Material): Die Abrichtung dauert sechs Wochen. Die Besten sind nach zwei, die Schlechtesten nach 810 Wochen fertig. Wer nach dieser Zeit noch nicht marschiren kann, wird womöglich entlassen. Die Niederösterreicher (Flachländler) sind am geschicktesten, wenn auch die Wiener früher gut marschiren zu können glauben, als sie es wirklich thun. Am schlimmsten sind die Polen und Slovaken; unter ihnen sind mindestens 33 Procent Ungeschickte.

6. Von einem polnischen Regiment: Es gibt nicht nur Recruten, sondern auch Leute, die schon 1012 Jahre dienen, und sich doch nie klar über das rhythmische Marschiren werden. Die Allerungcschicktesten lernen es aber gar nie. Es gibt Leute, die in Reih und Glied ganz leidlich marschiren, so lange sie auf die Füße Anderer sehen können und vom Auge aus die Be­wegungen mitmachen, die aber einzeln keinen Tact halten können. Am schwersten unter den Polen lernen es die Bewohner gebirgiger Gegenden (Huzulen).

Der erste Bericht über das Marschiren gibt merkwürdig richtig die Summe der solgenden Einzelbeobachtungen. Man wird nach diesen Wohl kaum die Behauptung aufrecht halten können, daß rhythmisches Gefühl allen Menschen eigen ist; es gibt Menschen, denen das rhythmische Gefühl nicht angeboren und auch nicht beizubringen ist. Sie müssen absolut unmusikalisch sein, denn die Fähigkeit, die rhythmische Gliederung der Töne zu einer Melodie aufzufassen, ist die erste Bedingung zum Erfassen von Musik. Die interessanten Einzelheiten sich aus den Berichten hervorzuholen, überlasse ich dem Leser. Auf die aus dem Gedächtniß entnommenen Zahlen der absolut und relativ Ungeschickten möchte ich nicht zu viel Werth legen.