Wer ist musikalisch?
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Auch für die Langlebigkeit der Komposition ist die Rhythmik weitaus entscheidender als die Melodik, weil erstere das Elementare, unmittelbar mit gewissen Eigenschaften unseres Körpers Verbundene ist, während letztere immer von Convention, d. h. von Gewohnheit, Mode, Zeitverhältnissen abhängt, wie später näher erörtert werden soll. Wer hierüber im Zweifel ist, schlage einen Band Händel, Marcello, Bach, Scart attr aus. Die scharf ausgeprägte Energie und die colossal reiche Erfindung der Rhythmen ist es vorwiegend, welche diese Meister, deren Melodik uns theilweise schon etwas fremd geworden, und deren Harmonik uns bei oberflächlichem Hören monoton, zuweilen sogar häßlich, bizarr erscheint, so lange am Leben erhält, und durch welche sie uns zuweilen noch lebhaft zu interessiren vermögen. Neben ihnen und nach ihnen lebten viele große Meister, welche den Genannten nahe kamen. Doch viel Neues und zumal Gewaltigeres konnten sie in der Rhythmik kaum erfinden. Es ist damit, wie mit der Zeichnung in der Malerei und der Raumgestaltung in der Architektur; beide scheinen seit den großen Meistern der Renaissance fast erschöpft. So sehr auch bei den Volksliedern, welche sich lange erhalten, Text und Melodie mit in Frage kommen, — ohne einen sehr deutlich decidirten Rhythmus lebt kein Volkslied besonders lange (Tanzlied). — R. Wagner verdankt seine musikalischen Erfolge, seine wenn auch nicht sehr weit reichende musikalische Popularität, zum größten Theil seiner hohen Begabung für die Erfindung rhythmisch schön gestalteter Motive. Daß Meyerbeer's vier große Opern sich immer noch auf dem Repertoir halten, liegt meines Erachtens nach hauptsächlich in der großen (gewiß sehr bewußten) Sorgfalt, welche er der rhythmischen Gestaltung seiner Musik widmete. Die rhythmisch zu gleichartigen Melodien der eine Zeit lang so populären Italiener (Bellini, Donizetti rc.) sind rasch veraltet, nur die an Rhythmik interessanteste Oper Rossini's „Der Barbier von Sevilla" hat sich noch ihre ursprüngliche Frische bewahrt.
Sobald uns früher oder später die Empfindung für Rhythmus zu einer angenehmen Wahrnehmung und Vorstellung geworden ist, Mitbewegungen und Mitempfindungen der verschiedensten Art angeregt hat, und sobald diese angenehme Wahrnehmung dem Gedächtniß einverleibt ist, beginnen wir diese inneren Vorstellungen zu combiniren, mit ihnen zu „spielen"; dies Spiel unserer Phantasie wird uns nach und nach immer interessanter, es wird zum „Lustgefühl", zum Vergnügen, es Wird damit ein „ästhetisches" Moment unseres Lebens.
getretenen „Vortanz" CM dann in einem lebhaften „Nachtanz" (Springtanz in ähnlich wurde auch die „Allemande" als Hoftanz behandelt. Der später als deutscher Landtanz oder Volkstanz bezeichnet „Ländler" (aus welchem der städtische „Walzer" hervorging), war ein Schleifer (in 2/4 Taet), wie er jetzt noch auf dem Lande mit den ernstesten Mienen getanzt wird. Gesellt sich ihm das Wort hinzu, das „Schnadern" (Schnattern), dann wird er zum „Schnada- hüpferl", zum munteren Tanz, mit vielem Juchzen und Springen der Männer verbunden (Hopser), doch nur der Männer — während die Frauen, entweder in der Mitte eine Gruppe oder durch Anfassen einen „Ringel" bilden und höchstens lächeln, nie aber mitlachen oder mithopsen dürfen.