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Deutsche Rundschau.
Ich Will gleich ein für allemal bemerken, daß ich das Wort „Spielen" hier nicht im Sinne von „Spielerei oder Tändelei" fasse, sondern damit das Hin- und Herwogen und Sichverbinden (Associiren) aller in unserem Gedächtniß angehäuften Empfindungen, Vorstellungen, Gedanken unter einander bezeichne. Ich finde eben kein passenderes Wort dafür; eigentlich müßte man sagen: es spielt in uns, oder auf gut Wienerisch , es spielt sich in uns"; doch ist uns die Ausschaltung des „Ich" dabei nicht geläufig; die meisten Menschen halten noch etwas aus ihr wollendes und handelndes „Ich". — Lassen wir es also bei dem „Spielen" als einem theils unbewußten, theils bewußten activen Vorgänge in uns. Philosophen und Dichter spielen mit Sprachvorstellungen (Wortgedanken), der Mathematiker spielt mit Zahlen oder geometrischen Formen, der Maler mit Gesichtsvorstellungen (Formen und Farben), der Tonkünstler mit rhythmisch gegliederten Tonvorstellungeu, der Koch mit Geruchs- und Geschmacksvorstellungen u. s. w. — Alles ist Spiel mit den aus unseren Sinnesempfindungen hervorgegangenen Wahrnehmungen und Vorstellungen. Warum nun ein Individuum vorwiegend mit diesen, ein anderes mit jenen Vorstellungen spielt, und warum bei dem Einen diese, bei einem Anderen jene Vorstellungen im Gedächtniß hasten bleiben, hängt in erster Linie von seiner körperlichen Organisation ab; und da er doch immer ein von seinen Eltern abgelöstes Stück Materie ist, von seinen angeerbten Charaktereigenschaften. In jedem Menschen fixiren sich vorwiegend diejenigen Sinneswahrnehmungen, erst unbewußte, dann bewußte, für welche die größte Aufnahmslust und -Fähigkeit angeboren ist. Zu welchen Resultaten und Handlungen das Vorstellungsspiel des wachsenden Menschen führt, ist freilich vorwiegend durch seine Anlagen und seinen Charakter, dann aber besonders durch den Kreis von Menschen bedingt, in welchen er zu einer bestimmten Zeit hineingeboren und in welchem er erzogen wurde. Dadurch wird ihm ein Stempel aufgedrückt, durch welchen er kenntlich ist, solange wir noch Spuren seines Denkens und Handelns in uns überkommenen Werken haben. An den bedeutendsten derselben bewundern wir die Schärfe und Klarheit der Prägung dieses Stempels. Ihre Schöpfer werden in der Geschichte zu hervorragenden Typen ihrer Zeit, zu Heroen, durch welche uns wiederum das Verständniß für jene Zeit erschlossen wird.
Daß Jemand eine besondere Freude an dem Spiel seiner rhythmischen Vorstellungen findet, und diese in sich möglichst ausbildet, ist gewiß eine angeborene Anlage, die man schon als eine „musikalische" bezeichnen kann. Von den einfachen zwei- und dreitheiligen Rhythmen kommt man zu Untertheilungen, zur Doublirung und Triplirung, dann zum Abwechseln der einzelnen Rhythmen, zur Verkürzung und Verlängerung, zum Aufbau mehrerer über und unter einander gelegten Gruppen von Rhythmen, zu einem regelmäßig angeordneten, rhythmisch gegliederten größeren Ganzen. Dem in gleichzeitiger Wahrnehmung verschiedener tönender Rhythmen Ungeübten wird ein complicirter Bau der Art keine Freude machen, weil er ihn nicht übersieht, respective ihn nicht aus einander und doch zusammen hört H, während der Geübte, den alle ein-
i) Den Ausdruck „überhören" gleich „überblicken" dürfen wir leider nicht gebrauchen, da er durch den Sprachgebrauch eine ganz andere Bedeutung erhalten hat.