Heft 
(1894) 81
Seite
112
Einzelbild herunterladen

112

Deutsche Rundschau.

nahezu zusammen. Unter der ersteren versteht man bekanntlich den Zeit­abschnitt, welcher verstreicht zwischen dem Augenblick des Verschwindens des oberen Sonnenrandes unter dem Horizont im Westen und der Berührung des Erdschattens mit demselben Horizont, und zwar bei Sonnenuntergang. Bei Sonnenausgang herrscht so lange die astronomische Dämmerung, als der Erd­schatten am westlichen Horizont verschwindet bis zum Erscheinen des oberen Sonnenrandes im Osten. In der Nähe des Aequators dauert diese Erscheinung etwa 2830 Minuten, und ebenso lange währt dort die bürgerliche Dämmerung, d. h. die Zeit, während welcher man bei dem Dämmerlicht noch im Freien arbeiten oder lesen kann. Bei zehn Grad Süd- oder Nordbreite dauert die Dämmerung schon ungesähr siebzig Minuten. Demnach kann von einem ganz plötzlichen Eintreten der Finsterniß oder Helle keine Rede sein. In der Dämmerung sehen wir in Afrika sehr häufig während der Regenzeit, zuweilen auch in der trockenen, die vorerwähnten Dämmerungsstrahlen auftreten, die das Erstaunen des Fremdlings stets in höchstem Maße erwecken. Ihre Ent­stehung erklärt sich sehr leicht nach Beobachtungen, die man häufig genug machen kann. Wenn die Atmosphäre bei Sonnenaus- oder Untergang von rosafarbenem Licht durchstuthet ist und einzelne sehr mächtige Hausenwolkengebilde dicht am oder unter dem Horizonte schweben, so erscheinen die Schatten derselben als perspectivisch nach unten verjüngte Streifen, von meist tiefblauer Farbe in der rosa erleuchteten Atmosphäre, und zwar von einem Punkte aus fächer­förmig über den ganzen Himmel gebreitet. Nie aber wird man mehr als zehn bis zwölf solcher Dämmerungsstrahlen beobachten, denn nur große, dichte Wolken vermögen solch tiefe Schatten zu werfen. Sind die Wolken unter einer bestimmten Größe, so werden die Schatten nicht mehr sichtbar. Sind die Wolkenhaufen aber zu groß, so tritt überhaupt keine Abendröthe ein, da die Wolken durch ihre Masse die Sonne verdunkeln. Ist ein solcher Sonnen­untergang besonders prächtig, so schießen die Dämmerungsstrahlen bis beinahe zum Zenith hinauf. Dort verschwinden sie, um am östlichen, beziehungsweise westlichen Horizonte in derselben Anzahl einer dem Entstehungspunkte diametral entgegengesetzten Seite zu entsteigen.

Die ganze Erscheinung tritt immer erst nach Sonnenuntergang ein und dauert nie länger als 1517 Minuten. Die Dämmerungsstrahlen find übrigens durchaus keine nur auf die Tropen beschränkte Himmelserscheinung, sondern treten auch in unseren Breiten auf, wenn auch nie in solcher Intensität. Dem aufmerksamen Beobachter werden sie nicht entgehen. Einmal beobachtete der Verfasser sehr auffallende Dämmerungsstrahlen im October 1890 in der Gegend zwischen Horka und Görlitz.

Von den wunderbar schönen Sonnenuntergängen in Afrika ist dem Ver­fasser namentlich einer in Erinnerung, den er an einem Septemberabend auf dem Tanganika im Angesicht der Westküste dieses Sees sah. Die hohen Gebirge Marungus erhoben sich in kobalt- und violettblauer Färbung über den tief indigoblauen See; die diesseitigen Höhen lagen wie unter einem zarten grünen Schleier; hie und da erblickte man gleich einem Silberfaden den hohen Wasser­fall eines Baches. Der ganze Himmel strahlte wie ein feuriges Luftmeer, durch-