Heft 
(1894) 81
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Deutsche Rundschau.

Ich bin nun einmal ein Mensch, der die Dinge gern mit weitem Gesichte be­trachtet, was wieder weite Hoffnungen gibt, und zuweilen auch ein versöhnliches, wenn auch nicht versöhnendes Urtheil über den Lärm des Augenblicks und die Gaukeleien der Spieler, die sich in ihm bewegen. Wenn ich mich nämlich aus diesem wilden Lärm und schlechtem Getriebe herausstelle oder nur herausdenke und dann auch die Gesichter und Gebärden und Handschläge und Manldonnerschläge der Schwerenöther des Tages vergesse, so erblicke ich doch in den meisten deutschen Menschen, auch in den meisten der hier anwesenden Volksboten, noch so viel Recht­schaffenheit und Tüchtigkeit und selbst in der übertriebenen Wildheit mancher Einzelner noch so viel Natürlichkeit, daß mir für das deutsche Ende nicht bange wird, das freilich Wohl vielleicht mehr als ein Menschenalter hinter meinem wirklichen Ende hinausliegen wird. Du siehst, daß mein deutsches Ende die end­liche Gestaltung und Entwicklung Deutschlands meint; wobei freilich unser bischen Leben und Glück und unserer Kinder sehr in die Schanze gesetzt werden kann. Die Deutschen ein ungeheures Volk, ihr Land ein Land ungeheurer Kräfte sie sind erwacht, machen einige Katzensprünge, mehr französische Affensprünge, aber gottlob auch noch viele Kindersprünge und wir wollen hoffen, daß daraus endlich, wenngleich in langsamen Erlernungen und Hebungen, Männerschritt wird. Freilich, wenn ich das mixtum eompomtum unserer sogenannten politischen und staatsrechtlichen Verhältnisse bedenke und wie diese zur Gesinnung und Stimmung des Volkes (die von manchen Narren und Bösewichtern bös' genug gestimmt und verstimmt wird) stehen, so wird mir grau und gelb vor den Augen, und bis diesen Tag begreife ich nicht, wie die Centralgewalt (jetzt Erzherzog Johann) die gehörige Klemme über die einzelnen Regierungen gewinnen will, besonders wie sie, gleichsam die Mittelmacht (obgleich sie Obermacht bedeuten soll) zwischen dem Parlament und den Königen und Fürsten, eine genug drückende und stoßende Macht werden will. Ja, hätten wir einen großen König, der zugleich mit Scepter und Schwert gezeigt werden könnte, auf Preußens Thron gehabt und ihn Kaiser oder schelten dürfen, dann hätte sich die rechte Klemme schon gefunden. Nun ist der gute, alte Johann da, ein einstweiliger Lückenbüßer was nach ihm? Da ist der gordische Knoten, der seines Alexanders wartet. Indessen siechten Andere andere Knoten, die zuletzt auch Wohl in blutigen Kämpfen werden dnrchgehauen werden müssen, wie jetzt schon die ersten Pariser Barrikadenhelden das, was die Dritten und Vierten flechten oder flechten wollen, mit dem Eisen zerhauen müssen. Bei­läufig, diese jüngsten Parisiana scheinen hier doch einige Wirkung zu thnn und machen gewisse Leute etwas kleinlauter. Ich bin bei Gelegenheit ihrer zu einigem Ansehen gekommen, indem ich bei einem kurzen parlamentarischen Wortgefecht einem PreiserH der französischen Republik und des hochgebildeten und geistig so hochgesitteten Volkes, das nimmermehr einen soldatischen Herrn vertragen werde, indem ich diesem demokratischen Maulhelden vor einigen Tagen etwas laut zuries: sie werden bald wieder einen haben.

fl Gemeint ist Arnold Rüge, der bei Gelegenheit der gerade ftattfindenden Berathung aber die Centralgewalt am 23. Juni 1848 folgende Worte sprach:Es handelt sich darum, ob wir ohne Herrn, das heißt freie Männer sein wollen. Der edle Mann neben mir (nämlich E. M. Arndt) hat gesagt, es sei ein Unglück, herrenlos zu sein; ich glaube, er hat eine Unrichtigkeit gesagt. Denn die Nordamerikaner, die keinen Herrn haben; die Schweizer, die keinen Herrn haben wollen; die Franzosen, die ihren Herrn davon gejagt, find herrenlos." Hierauf rief E. M. Arndt die im Briefe selbst angeführten Worte dem Redner zu, der nun seinerseits repli- cirte:Beruhigen Sie sich; ich glaube das nicht." Während in Frankfurt diese Worte gewechselt wurden, war in Paris schon der General Cavaignac, mit weitestgehender Vollmacht seitens der Regierung ausgestattet, damit beschäftigt, den von socialistischen Radicalen angefachten Aufstand niederzuschlagen. Der weitere Verlauf der Dinge in Frankreich und namentlich das baldige Emporkommen Louis Napoleon's bestätigten Arndt's Worte.