Heft 
(1894) 81
Seite
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Briefe von Ernst Moritz Arndt aus dem Frankfurter Parlament.

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Uebrigens, da ich nun auf mich felbst und von mir selbst zu sprechen komme, so suhle ich und habe es vorher schon gefühlt daß so alte Leute wie ich in kein Parlament gehören, wenigstens in keines, welches erst ein Parlament werden, oder vielmehr sich gestalten soll. Wäre ich dreißig, vierzig Jahre jünger, so würde ich bald in einer, bald in der anderen Kneipe, wo sich die Clubs halten, auch aus die Tische springen und die Waare, die ich führe, besser an den Mann zu bringen suchen. Denn eben in diesen einzelnen Clubs und Versammlungen wird das Meiste gewirkt und suchen die Parteien sich geltend zu machen. Aber nach der Tageslast muß Unsereiner in den Stunden zwischen neun und ein Uhr Nachts sich mehr in die Ruhe zurückziehen. Du kannst Dir denken, daß die Radicalen, meistens auch die Jüngsten, bei Weitem die Thätigsten sind und bis tief in das kleinste Volk hinein bohren und wühlen. Sie haben einige Talente: den R. Blum von Köln, mit Plautus zu reden subäolissimuin, und ein paar Simone: einen Simon aus Trier, sehr witzig und gewandt, und den Heinrich Simon von Breslau u. s. w. Die Constitutionellen nun, die haben wirklich keinen Führer; ich weiß nicht, ob und wann sie einen finden werden. RadoWitz, geschickt, aber kein Herz (wovon der Deutsche doch immer ein tüchtiges Stück, sei's gut, sei's bös', haben will); Beckerath zu trocken, zu doctrinär, ohne jede Begeisterung; Vincke wirkliches, wahrstes Talent, aber zu eckigt und starr, immer etwas springend; Dahlmann kann aus der Tribüne kein Führer, überhaupt kein Führer sein, weil ihm die um mittelbare Rede und Gewandtheit fehlt; Freiherr Rothen Han aus Franken, ein edler, schöner Rittersmann, hat für eine so große Versammlung nicht genug Durchschlagendes und Feuriges; Heckscher (Hamburger Advocat) leicht der Be­deutendste, ein künftiger Minister: Lebendigkeit, Klarheit der Darstellung, ein sehr guter Wortfechter (Debater); vonWidenbrugk (Thüringer, weimarscher Minister) der würde was sein können, wenn er nicht buckligt wäre und eine zu dünne Stimme hätte, seiner, klarer, geistreicher Verstand. (Gagern, der Präsident, ein sehr aus­gezeichneter Mann, auch durch seine Persönlichkeit.) H

Ich also sitze so mit und versitze möglicher Weise einem schlechteren Mann die Stelle. In Einzelreden und im Gespräche säet so ein Alter vielleicht auch zuweilen ein gutes Samenkörnlein aus; sitze auch in einem sogenannten Club (der Ge­mäßigten) im Steinernen Hause (almit omen!) zuweilen als Vicepräses, wo Rothenhan vorsitzt.

Die Radicalen (der Appetit des Tollen wächst leider in vielen Landen, zumal in Württemberg, Hessen, Thüringen. Ich hoffe, die Franzosen werden ihn durch die Praxis und Tararis etwas sänstigen)^), die eine wüste allgemeine Republik und die Fürsten fort! fort! wollen es sind unglaubliche Gestalten darunter . . .

Xotabeno: Ich kam gestern zufällig durch die alte Judengasse, die mich ihrer ungeheueren Ungeheuerlichkeit wegen über eine halbe Stunde in Beschauungen und Betrachtungen aushielt. Da mußte ich lächeln, als ich vor der Bude eines Antiquars neben älteren Bildern und Köpfen als die einzigen neueren Joh. Rouge und Körbler^) ausgehängt sah. 2. XU. Ich hänge auch schon aus an mehreren Ecken. Sonst ergötze ich mich vielfach in Betrachtung mancher herrlichen alten Bauwerke der Stadt.

Die Berliner? Das Zeughaus? O diese letzte Plünderung und Schmach ist groß; schändlich die Feigheit der Bürger.

Ade, du Liebster! Tausend Grüße. Dein E. M. A.

ch Ist von Arndt später, offenbar beim Wiederdnrchlefen des Briefes, hinzugefügt und ein- gefchoben.

2 ) Das hier in Klammern Gefetzte hatz^lrndt am unteren und seitlichen Rande hinzugefügt.

2) Gemeint ist sicher der Priester Kerbler aus Schlesien, welcher mit Johannes Rouge zu­sammen an der Bewegung gegen die päpstliche Hierarchie Theil nahm. Diese Bewegung, durch Ronge's geharnischte Schrift an den Bischof Arnoldi in Trier gegen die Wallfahrt zumun- genähten Rock" hervorgernfen, führte zur Gründung des Deutsch-Katholicismus.